Im Weißen Rössl“ am Wolfgangsee da trifft Berliner Schnauze auf österreichische Gemütlichkeit, begegnen sich parfümierte Großstädter mit schlawinerischen Alpenbewohner. Für die Burgfestspiele bringt Regisseur Benedikt Borrmann das 1930 mit großem Erfolg in Berlin uraufgeführte Singspiel im frech-frivolen Gewand, wie ursprünglich von ihren „Vätern“ gedacht, auf die Bühne: Anspielungsreich und ironisch, augenzwinkernd und charmant.
Bad Vilbel. Die Bad Vilbeler Inszenierung soll das Gegenteil einer Heimatschnulze werden, zu der das „Weiße Rössl“ in den Bühnenaufführungen sowie zahlreichen Verfilmungen der Nachkriegsjahre degradiert wurde. Es soll frisch und frech den Geist seiner Entstehungszeit atmen. O-Ton Benedikt Borrmann:
„Das ’Weiße Roessl’ ist keine Wiener Operette, sondern vielmehr ein Singspiel, eine Berliner Posse. Wie schon bei der Uraufführung ist das Vilbeler ’Roessl’ nicht mit Opernsängern besetzt, sondern mit Schauspielern, die eben auch singen können. Wir nehmen das Stück ganz wörtlich, verlassen uns völlig auf seine brillante Meisterschaft und seine großartige Musik. Und so wird unser ’Roessl’ (hoffentlich) wieder das, was es vor dem Verbot durch die Nationalsozialisten war: ironisch, kitschig, frivol, zeitgemäß, lustig und schrill. Man muss das Stück nur ernst nehmen, dann erstrahlt es wie neu und macht einen Riesenspaß.“
Das Singspiel des Komponisten Ralph Benatzky umfasst auch Liedtexte von Robert Gilbert, Robert Stolz und anderen Verfassern. Das Libretto hat Benatzky zusammen mit Hans Müller und Erik Charell geschrieben. Im Mittelpunkt stehen die Hotelwirtin Josepha Vogelhuber und ihr Zahlkellner Leopold.
Die Leiden des Leopold
Es ist Hochsaison im Hotel „Zum Weißen Rössl“ am Wolfgangsee. Zwar kann Leopold die unzufriedenen Gäste mit seinem Charme und Schmäh beruhigen, kann damit aber zu seinem Leidwesen bei seiner Chefin, in die er heftig verliebt ist, überhaupt nicht landen. Sie weist seine Annäherungsversuche zurück und spekuliert darauf, den langjährigen Stammgast Rechtsanwalt Dr. Otto Siedler aus Berlin erobern zu können.
Ebenfalls aus Berlin steigen im Rössl der mürrische Trikotagen-Fabrikant Giesecke und seine Tochter Ottilie ab. Leopold quartiert sie in das eigentlich für Siedler vorgesehene Balkonzimmer ein. Beim Streit, wer denn nun dort logieren soll, stellen Siedler und Giesecke fest, das sie in einer gerichtlichen Auseinandersetzung stehen. Siedler vertritt als Anwalt in einem Patentschutz-Fall Gieseckes Konkurrenten Sülzheimer. Abseits des juristischen Falls verguckt sich Siedler in Ottilie, die für seine Komplimente alles andere als abgeneigt reagiert (Die ganze Welt ist himmelblau, wenn ich in deine Augen schau). Dadurch sieht Leopold seine Chancen bei Josepha wieder steigen. Die entlässt ihn aber, als er sich weigert, einen Blumenstrauß auf das Zimmer von Siedler zu bringen. Da aber immer mehr Gäste eintreffen, sogar auch der Kaiser angekündigt wird, und Personal knapp ist, sieht sich die Hotelwirtin gezwungen Leopold wieder einzustellen.
Was kann der Sigismund dafür …
Zu den neuen Gästen zählt auch Sigismund der Sohn von Gieseckes Geschäftskonkurrent Sülzheimer. Der hat sich bei der Anreise per Bahn in Klärchen, die sich mit ihrem Vater Prof. Hinzelmann im Rössl einmietet (Was kann denn der Sigismund dafür, dass er so schön ist) verliebt. Nach vielen kleinen Intrigen, Eklats und Durcheinander, Tränen des Zorns und auch Tränen der Freude gibt es am Ende drei Paare, die sich „auf Lebensdauer“ nicht mehr zu trennen versprechen.
In Deutschland verboten
Nach dem großen Erfolg bei der Uraufführung und den folgenden Jahren war das „Weiße Rössl“ im nationalsozialistischen Deutschland wegen seines ironischen und despektierlichen Umgangs mit „Folklore“ verboten und, mit Hinweis auf die jüdischen Mitautoren des Stücks, als „entartet“ bezeichnet. Dagegen wurde es in London sowie am Broadway in New York zu einem Dauerbrenner.
Im Deutschland der Nachkriegsjahrzehnte hatte ein konservativ verstandener Folklore-Begriff weiterhin Konjunktur. Die schmissigen und jazzigen Lieder wurden durch verharmlosende Arrangements ersetzt und quasi „veredelt“ von Operetten- und Opernsängern gesungen. Das entsprach diametral der ursprünglichen Fassung und hatte zur Folge, dass das „Rössl“ in den Ruf einer langweiligen, spießerhaften Heimatschnulzen-Revue geriet.
Rückbesinnung auf die Ursprünge
Ab Mitte der 1990er Jahre erfolgte die Rückbesinnung auf die Ursprünge. „Plötzlich war die alte, viel geschmähte, längst abgeschriebene Kunstform Operette wieder da – ironisch, kitschig, campy [Liebe zum Übertriebenen], zeitgemäß und herrlich schrill, genau wie sich’s gehört“, wird im Bad Vilbeler Festspielheft erläutert t. „Plötzlich wurde auch das ganze Genre nicht mehr als Wunschkonzert-Nummernfolge im Musikantenstadl-Format wahrgenommen, sondern als intelligente Unterhaltung fürs moderne Großstadtpublikum.“
Den „köstlich kitschigen Spaß“ einer 1994 in Berlin aufgeführten Inszenierung kommentierte „Der Spiegel“ als ein „kurzweilige Gipfeltreffen von U und E in der österreichischen Bergwelt“, das wohl auch deshalb so glückte, „weil alle Beteiligten den höheren Blödsinn der Vorlage verdammt ernst nehmen“.
Also genauso, wie es auch die Absicht des Bad Vilbeler Regisseurs Benedikt Borrmann ist. Premiere seines „Weißen Rössl“ ist am 5. Juli. (hir)