Den Eifrigen rinnt sie wie Sand durch die Finger. Den Trägen hängt sie wie ein Klotz um den Hals. Viele Kinder können nicht abwarten, bis sie vergeht. Die Älteren möchten sie gern noch ein wenig festhalten. Und ich selbst bin oft gut darin, sie zu vertrödeln. DIE ZEIT!
Kaum etwas täuscht uns mehr als die Zeit. Die einfachste Täuschung lautet: Zeit ist Geld!
Als kleiner Junge produzierte ich mein eigenes Spielgeld, denn ich war fasziniert davon, was meine Mutter für bunt bedrucktes Papier alles bekam. Ich hätte mal versuchen sollen in meinen Lieblingsspielzeugladen mit den Worten „Papier ist Geld“ etwas zu kaufen. Mit Sicherheit hätte der Verkäufer bloß grinsend abgelehnt. Aber wenigstens hätte ich ihn mit meiner Aktion in ein logisches Dilemma gestürzt. Zumindest, wenn er zuvor dem Satz „Zeit ist Geld“ zugestimmt hätte. Denn wer sagt: „Zeit ist Geld“, müsste auch einem kleinen Jungen etwas für seine selbst ausgeschnittenen und bemalten Papierstreifen verkaufen, wenn dieser sagt: „Papier ist Geld!“ Natürlich ist Papier nur unter bestimmten Voraussetzungen Geld. Und zwar wenn es von der Bundesbank herausgegeben und amtlich als Geldschein bedruckt ist. Aber genauso ist auch Zeit nur unter bestimmten Voraussetzungen gleich Geld. Und selbst dann greift diese Gleichung noch zu kurz. Denn Zeit ist so viel mehr als Geld. Sie ist die Chance zum Leben. Zeit ist letztlich mit Geld nicht zu bezahlen. Sie ist die große Leihgabe Gottes an uns Menschen. Zeit ist wie ein Gefäß, dass sich mit Freude, Liebe und Leben füllen kann. Aber eben auch mit Trauer, Einsamkeit und Angst.
„Meine Zeit steht in deinen Händen.“ So lautet ein Vers aus der Bibel (Psalm 31,16). Meine Zeit steht in Gottes Händen. Ich finde, das ist ein schönes Bild. Aber ich verstehe es nicht so, dass Gott wie ein willkürlicher Despot über die Zeit meines Lebens verfügt. Wenn ich diesen Vers als Gebet spreche, dann stelle ich mir vor, dass meine Lebenszeit in Gottes Hand eingegraben ist, wie die Linien in einer Handfläche. Da sind edle, sanfte Schwünge, aber auch die Narben alter Schnittverletzungen. Denn jedes Leben birgt sowohl schöne als auch schwierige Zeiten in sich. Doch ich darf darauf vertrauen: In Gottes Hand sind all diese Zeiten gut aufgehoben.
Maurice Meschonat
Vikar der Ev. Christuskirchengemeinde Bad Vilbel