Bad Vilbel. „Verantwortung ist der Kitt unserer Gesellschaft“, sagte Bundesfamilienministerin Kristina Köhler. Voraussetzung, Verantwortung übernehmen zu können, seien faire Bildungschancen für alle und genügend Zeit. „Eigentlich bin ich für alle zuständig außer für mittelalte, unverheiratete Männer“, scherzte das jüngste Mitglied der Bundesregierung vor 600 Gästen. Entspannt plauderte sie darüber, dass man sich in ihrem Ressort ständig für die eigene Familiensituation zu rechtfertigen habe. Viele Menschen hätten sich gefragt, wie Ursula von der Leyen das Amt ausüben konnte, obwohl sie sieben Kinder hat, sie selbst werde gefragt, wie das möglich ist, obwohl sie unverheiratet ist.
Doch Köhler ging rasch tiefer. Der Kampf gegen Kinderarmut betreffe nicht nur die materielle Situation, sondern auch die Bildungsperspektiven. Der Zugang zur Bildung sei entscheidend für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Deshalb arbeite ihr Ministerium an einer Erweiterung des Kinderzuschlags für Familien, die durch Kinder zu Hartz-IV-Empfängern würden. Sie sollten eine besondere Unterstützung erfahren, damit sie weiter arbeiten gehen, ihr Geld selbst verdienen und damit ein positives Beispiel für die Kinder darstellen.
Die Ministerin lobte das „ungeheure Engagement“ von Bad Vilbel in der Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Das Versorgungsziel der Stadt von 30 Prozent Ende 2010 sei deutlich ambitionierter als die Vorgaben des Bundes. Dadurch entstehe für junge Familien Planungssicherheit. Durchaus zweischneidig sieht die Ministerin die im Koalitionsvertrag mit der FDP vereinbarte Einführung eines Betreuungsgeldes. Bis 2013 sollen Eltern, die ihre Kinder unter drei Jahren zu Hause erziehen, monatlich 150 Euro erhalten. Einerseits sei nichts besser für die Entwicklung eines Kindes als die familiäre Zuwendung, doch andererseits gebe es Eltern, die nicht in der Lage oder willens seien, ihren Kindern die Voraussetzungen für eine faire Bildungschance zu vermitteln. Bis 2013 werde sie klären, wie dieser Zwiespalt zu handhaben sei.
Die Einführung der „Vatermonate“ nach dem Erziehungsjahr habe die Mitwirkung der Väter an der Erziehung von drei auf 20 Prozent hochschnellen lassen. Eine Vereinfachung, Ausdehnung und flexiblere Handhabung mit der Möglichkeit von Teilzeitarbeit werde angestrebt. In einer Initiative mit dem Deutschen Industrie- und Handelstag sollen auch Teilzeitregelungen flexibler gehandhabt werden. Als Alternative zur 40- oder 20-Stundenwoche seien 30 Stunden für Männer leichter vorstellbar, sie bedeuteten geringere finanzielle Einbußen, bewahrten vor dem beruflichen Abstellgleis und brächten auch den Arbeitgebern Vorteile. In Zeiten des Fachkräftemangels erkennen immer mehr Betriebe den Wert familienfreundlicher Arbeitsbedingungen, so Köhler.
Was für die Erziehung von Kindern gelte, das gelte angesichts der demografischen Entwicklung in gleichem Maß für die Pflege älterer Familienmitglieder. 250 000 Arbeitgeber erledigten diese Aufgabe nebenbei – ebenso viele wie Elternzeit in Anspruch nehmen. Von heute zwei Millionen werde die Zahl pflegebedürftiger Menschen bis 2020 auf drei Millionen steigen. Acht Jahre betrage die durchschnittliche Pflegezeit, die oft nur am Rande der Legalität mit Unterstützung einer Pflegekraft zu schaffen sei.
Familie und Beruf zu vereinbaren werde in Zukunft immer mehr bedeuten, Familie und Pflege unter einen Hut zu bekommen. Dafür müssten neue Akzente gesetzt und flexible Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Andererseits seien die Menschen immer länger bis ins hohe Alter gesund und kraftvoll – eine Chance, die es umzusetzen und für die Gesellschaft zu nutzen gelte. Denn immer mehr werden es Alte sein, die Zeit dafür haben, Verantwortung zu übernehmen.