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Wo wird Ihre Liebe konkret? – Das Wort zum Sonntag

Stellen Sie sich einen Mann vor, der glaubhaft versichert, seine Frau zu lieben. Und doch hat er ihr das noch nie gesagt, ihr niemals Blumen geschenkt oder sie in den Arm genommen. Ist es nicht verständlich, wenn die Frau sich fragt, ob ihr Mann sie tatsächlich liebt?

Oder stellen sie sich vor, eine Mutter behauptet, ihr Kind zu lieben. Und doch hat sie ihrem Kind das noch nie gesagt. Sie hat noch nie ihr Kind in den Schlaf gesungen, es im Schmerz getröstet und trotz eigener Müdigkeit die Zeit für eine Geschichte gefunden. Ist es nicht nachvollziehbar, dass ein Kind mit der Zeit an der Liebe seiner Mutter zweifelt? Ich denke ja. Liebe drückt sich aus. Sie macht sich bemerkbar. Sie ist wahrnehmbar. Wenn das nicht der Fall ist, fragen wir zu Recht, ob Liebe überhaupt da ist. Liebe bleibt nicht eine körperlose Idee, die allein in den Gedanken existiert. Liebe bleibt nicht rein geistig, sie wird konkret. So ist es auch mit dem Glauben.

Wo Glaube ist, drückt er sich aus. Er bekommt einen Körper und ist wahrnehmbar: indem wir beten, zum Gottesdienst gehen, unser Leben nach den Geboten auszurichten versuchen. Natürlich, wir tun das unterschiedlich, und auch unterschiedlich intensiv. Aber der Glaube ohne Körper, ohne wahrnehmbaren Ausdruck, bleibt eine Idee, die in unserem Leben keine Kraft entfaltet. Und mit der Zeit wird der Glaube sich verflüchtigen.

Unsere katholischen Geschwister feiern am heutigen Donnerstag Fronleichnam. Ein Fest, das den meisten evangelischen Christen wenig sagt. Ich muss gestehen, auch ich verbinde wenig mit diesem Fest. Aber eines verstehe ich: In diesem Fest wird gefeiert, dass Gottes Liebe konkret wird. In der geweihten Hostie, die in den Prozessionen durch die Städte getragen wird, bekommt Gottes Liebe einen Körper.

Es gibt Menschen, denen das naiv vorkommt. Sie halten es für eine Schwäche, dass der Glaube etwas braucht, was er anschauen und anfassen kann. Auch ich nehme nicht an den Prozessionen teil, aber ich erkenne darin etwas, das auch für mich als evangelischen Christen wichtig ist: So wie Gott konkret wird, kann auch der Glaube nur dann seine Kraft entfalten, wo er konkret wird und sich ausdrückt. Denn Glaube ist nichts anderes, als dass ich Gott für mich da sein lasse.

Wo Glaube keinen Körper hat, verflüchtigt er sich und zerrinnt uns zwischen den Fingern. Deshalb meine Frage: Wo wird Ihre Liebe konkret? Aber auch: Wo findet Ihr Glaube einen Ausdruck?

Ihr Pfarrer Jens Martin Sautter

Christuskirche Bad Vilbel