Bad Vilbel. Gerhard Stengel (67) ist zwar seit sechs Jahren pensionierter Feuerwehrmann, aber sein eigentlicher Job geht unermüdlich weiter. Der frühere Bad Vilbeler Stadtbrandinspektor, der bis 2002 bei der Frankfurter Berufsfeuerwehr auch die Feuer- und Rettungswache in Nied stellvertretend leitete, ist Helfer aus Passion. Bereits seit Anfang der 90er Jahre organisiert er mit Hilfe von Kameraden und einem weiten Netzwerk von Unterstützern jährlich zwölf bis 20 Hilfstransporte nach Ungarn, Rumänien und neuerdings bis Nord-Serbien und Moldawien.
Wenn man ihn sprechen will, hilft oft nur die Mobilfunknummer. Da erreicht man ihn etwa auf dem Rückweg von einer aufgelösten Arztpraxis bei Limburg, deren Inhaber von Stengels Aktivitäten in der Zeitung las. Solche Hilfen ziehen Kreise. Als Stengel im rumänischen Dorf Adea eine arme Roma-Familie besuchte, erfuhr er, dass eine der Töchter starke Kopfschmerzen hat, die durch ein Augenleiden ausgelöst wurden. Durch seine Kontakte nach Ungarn fand er zwei Ärzte, die das Mädchen kostenlos operieren wollten. Dann tauchte ein neues Problem auf: Es fehlte Geld, um der Patientin einen Reisepass zu verschaffen.
Der Hang zum Helfen habe bei ihm früh angefangen, erinnert sich Stengel. Geboren wurde er im Sudetenland. Als er vier Jahre alt war, floh die Familie ins Erzgebirge. Mit 14 hatten Stengel und drei Freunde nur ein Ziel, raus aus dem als „Zuchthaus“ empfundenen Elend. „Wenn ich das schaffe, will ich, solang ich lebe, Armen helfen“, schwor er sich. 1957 kam er im Jugendwohnheim am Bad Vilbeler „Russenwäldchen“ auf dem Heilsberg unter, machte eine Lehre als Elektromonteur – und trat auch gleich der Feuerwehr bei.
Einige Jahre arbeitete er im Kundendienst, 1965 machte er bei der Frankfurter Berufsfeuerwehr seine Grundausbildung, der Arbeitsplatz schien ihm schon damals sicherer. 1981 hatte er es zum Brandinspektor geschafft, wurde später noch Amtsrat. Doch Bürokratie interessierte ihn nie besonders. Auch zu der Zeit, da er für die Bad Vilbeler und Frankfurter Wehr gleichzeitig arbeitete, sorgte er immer für pragmatische Lösungen. Wenn in Nieder-Erlenbach oder Bergen-Enkheim etwas los war, ging es von Vilbel aus zum Einsatz.
Eine neue Aufgabe erwartete ihn 1992, als die Frankfurter Wehr ihren ersten Hilfstransport in die weiter unter der Tschernobyl-Katastrophe leidende Ukraine schickte. Damals hatte er wieder eine verblüffende Idee: Warum nicht die Fahrschulausbildung auf dem Feuerwehr-Laster in die Ukraine verlagern? Und zuvor in Thüringen noch einiges an Krankenhaus-Ausrüstung mitnehmen?
Für Stengel ist die Reise in den Osten nicht nur ein Transit, denn „wer sich kennt, versteht sich besser“. So kam er auch mit den Kameraden in Ungarn in Kontakt. Nun funktioniert das Netzwerk so gut, dass die Wehr in Gyula selbst mithilft bei Transporten nach Rumänien. Auch der Austausch von Jugendgruppen läuft – es liegen acht Einladungen der Ungarn vor, die Vilbeler Jugendwehr fährt dieses Jahr aber in die Niederlande. Beim geselligen Grillfest nach einer Fahrzeugübergabe habe ihn 1994 der Feuerwehr-Bezirkskommandant von Bekecz eingeladen, sich bei Freunden im rumänischen Oradea umzusehen. „Halb Ungarn hat rumänische Wurzeln“, sagt Stengel und erinnert sich an die Schreckensbilder von Waisenhäusern, wo Kinder an Betten angekettet waren. Tatkräftig unterstützt wird Stengel nicht nur von der Feuerwehr und dem für Spenden gegründeten Christopherusverein, sondern auch von prominenten Wetterauern, darunter der Bad Vilbeler Stadtwerke-Chef Klaus Minkel, Ovag-Vorstand Rainer Schwarz, Erster Kreisbeigeordnete Oswin Veith (CDU) und Wolfgang Potinius, Geschäftsführer der Kliniken des Wetteraukreises. Allein 600 elektrische Krankenbetten wurden in der Wetterau gespendet. Als Lager und logistische Hilfe dient der städtische Betriebshof in Bad Vilbel. Noch in dieser Woche macht sich Gerhard Stengel wieder auf den Weg gen Osten und bringt das alte Massenheimer Löschgruppenfahrzeug ins ungarische Battonya.
Spenden für Stengels „Mittelosteuropahilfe“ können auf das Konto 10 400 78 30 bei der Sparkasse Oberhessen (BLZ 518 500 79) eingezahlt werden.