Es ist gar nicht lange her, dass den Bundesländern die Zuständigkeit für die gesetzliche Regelung der Ladenöffnungszeiten übertragen worden ist, und schon sind manche Länder gewaltig vorgeprescht.
So konnten die Berliner etwa schon im letzten Dezember einen Vorgeschmack bekommen, wie es demnächst in allen deutschen Groß-, und früher oder später auch Kleinstädten, zugehen wird. Die Geschäfte hatten an allen Sonntagen geöffnet wie an jedem anderen Arbeitstag. Die einen haben dieses Leben ohne konsumfreie Zeitzone begeistert genutzt, die anderen fühlten sich gestört durch den alltagsähnlichen Verkehr, die Unruhe auf den Straßen, durch Hektik und Angespanntheit in den Gesichtern der Menschen.
Alles wird unter dem Gesichtspunkt des Kaufens und Verkaufens betrachtet. Rentabilität ist das altneue Zauberwort. Es muss sich rechnen! Hochschulen und Krankenhäuser, ja selbst Gefängnisse werden für dieses scheinbar eherne Gesetz der Marktwirtschaft freigegeben. Merken wir denn überhaupt, was da mit einem unveräußerlichen Gut unserer Gesellschaft geschieht? Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben doch nicht umsonst aus der Weimarer Verfassung von 1919 den Artikel 139 übernommen, wo es heißt: „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“
In dem neuen Hessischen Ladenöffnungsgesetz (HLöG) wird in § 1 der Zweck des Gesetzes nur noch an zweiter Stelle mit der Arbeitsruhe begründet, in Absatz 1 heißt es wörtlich: „Zweck des Gesetzes ist es, die Rahmenbedingungen für flexible Öffnungszeiten zu verbessern.“
Das, was mich dabei empört, ist das Menschenbild, das hinter dieser Entwicklung steckt. Landesregierungen, die so etwas beschließen, kennen keine Kinder, keine Alten, keine Trauernden und keine Feiernden, sondern nur noch Konsumenten. Menschen den Feiertag zu nehmen heißt, sie sieben Tage in der Woche als Käufer oder Verkäufer zu betrachten, die der Marktwirtschaft zu dienen haben. Das ist ein entwürdigendes Menschenbild. Darum ist es gut, dass Christinnen und Christen dagegenhalten. Sie sind Sonntagskinder. Sie glauben, dass der Mensch seine Würde durch die Liebe Gottes geschenkt bekommt. Am deutlichsten hat sich diese Liebe in Jesus Christus gezeigt. Darum ist für die Christenheit auch der erste Tag der Woche, der Tag der Auferstehung Jesu, zum arbeitsfreien Feiertag geworden. Der wöchentliche Feiertag ist ein Geschenk Gottes an die Welt, an dem die Hektik des Alltags durchbrochen wird, der Mensch zur Ruhe kommt, all das relativiert wird, was im alltäglichen Leben wichtig zu sein scheint. Unsere Seele braucht diesen Rhythmus von Arbeit und Ruhe, von Anspannung und Entspannung.
Es sieht ganz danach aus, als ob ein unbezahlbares Kulturgut unserer Gesellschaft verscherbelt wird. Die Scherben der kranken Seelen wird kaum jemand darauf zurückführen. Darum sollten wir Christen unsere Stimme gegen eine Aushöhlung der Sonntagsruhe erheben und uns als Sonntagskinder zu erkennen geben. Auch dadurch, dass wir uns am Sonntag Zeit für Gott nehmen.
Pfarrer Hans Karl Heinrich,
Bad Vilbel-Gronau