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Wenn wieder alles wackelt

Erschütterungsschutz falsch gemessen? Christian Böhm hat Zweifel an überarbeiteten Plänen zu S6-Ausbau

Nur 20 Meter von seinem Haus entfernt rauschen die Züge der Main-Weser-Bahn durch Okarben. Anwohner Christian Böhm hat allerdings Zweifel, ob beim Erschütterungsschutz alles richtig gemessen wurde. Foto: den
Nur 20 Meter von seinem Haus entfernt rauschen die Züge der Main-Weser-Bahn durch Okarben. Anwohner Christian Böhm hat allerdings Zweifel, ob beim Erschütterungsschutz alles richtig gemessen wurde. Foto: den

Ist der Erschütterungsschutz für die künftige S6-Ausbaustrecke Bad Vilbel–Friedberg falsch berechnet worden? Das befürchtet Christian Böhm aus Okarben. In den Messungen findet er Lücken, Fehler, Widersprüche. Dagegen will er sich wehren – denn DB Netze möchte jeg- lichen Schutz für Okarben streichen.

Karben. Man muss genau hinschauen. Ganz leicht wackelt der Bildschirm des Laptops von Christian Böhm (39) hin und her. Doch kein Erdbeben rumpelt unter dem Haus am Ortsrand in Okarben, sondern in 20 Metern Entfernung rauscht gerade ein Güterzug vorbei.

Wie es kommt, dass man das noch im zweiten Stock spürt? Böhm steht auf und springt zwei-, dreimal. Der Boden wackelt stark. „Holzdecke“, erklärt der Ingenieur, die übertrage Erschütterungen gut. Viel besser als etwa eine Decke und ein Haus aus Stahlbeton.

Obwohl viele Häuser in seiner Nachbarschaft ebenfalls in der Nachkriegszeit, wohl mit den gleichen Materialien gebaut wurden, findet sich keines in den aktuellen, geänderten Planungsunterlagen für den S6-Ausbau. „In Häusern mit Holzdecken wurde nur westlich der Strecke gemessen, aber nicht im Ortskern“, sagt Böhm. Er fragt sich: „Warum?“ Widersprüche und nicht Nachvollziehbares wie dies hat der Ingenieur zu Hauf gefunden in den Erschütterungsmessungen. Sie sind Basis für die Planung zum Erschütterungsschutz, wenn das Land die Main-Weser-Bahn im Bauabschnitt zwei von Bad Vilbel bis Friedberg um zwei Gleise erweitern lässt.

„Ich bin nicht gegen den Ausbau“, sagt Christian Böhm. „Man sollte es nur ehrlich machen.“ Er besitzt kein Auto. Mit der S 6 sei er in seinem Leben „sicher schon 10 000-mal gefahren“. Doch er ist nicht nur Fahrgast, sondern auch Anwohner. Mit seiner Familie, den beiden Kindern (1, 5) lebt er direkt neben der viel befahrenen Trasse.

Gesundheit gefährdet

Deshalb will Böhm verhindern, dass Lärm und Erschütterungen bei ihm im Haus und im Garten nach dem Ausbau zunehmen. Daher hat er sich dem Aktionsbündnis „Bahnane“ angeschlossen. Es hat sich dem Kampf gegen den Ausbau Strecke Frankfurt-Friedberg verschrieben.

Was ist so schlimm an Erschütterungen? „Führen hier nur S-Bahnen, würde ich mich gar nicht damit beschäftigen“, sagt der Okarbener. Doch fährt ein Güterzug vorbei, „ist echte Bewegung im Haus“. Medizin-Studien ab dem Jahr 2010 offenbarten, dass das nicht bloß eine Belästigung sei, sondern gesundheitsgefährdend. Es steige die Gefahr von Herz-Kreislauf-Störungen. Diese Folgen aber seien bis heute nicht offiziell berücksichtigt, sagt Böhm. Anders als beim Lärm gebe es kein Gesetz, dass Menschen vor Erschütterungen schütze. Deshalb maßen die Fachleute, die im Auftrag der Bahn-Tochter DB Netze als Planerin des S6-Ausbaus die Erschütterungen dokumentiert haben, auch nach einer Din-Norm.

Diese berücksichtige die Gesundheitsgefahren ebenso nicht, warnt Böhm. Die Norm stammt aus dem Jahr 1999. Und sie berücksichtige nur Auswirkungen auf stehende und sitzende Menschen. Nicht aber auf Liegende. Im Liegen seien die Auswirkungen von Erschütterungen aber am stärksten.

Wieso kennt sich Böhm so gut aus? Er ist zwar Ingenieur, aber für Maschinenbau mit Schwerpunkt Luftfahrttechnik. „Ich habe einfach mal reingeschaut in die Unterlagen“, sagt er. „Und plötzlich tagelang darüber gebrütet.“ Akribisch-analytisches Arbeiten ist sein Alltag. So fing er an, die Details der Planung zu hinterfragen, entdeckte so die mutmaßliche Lücke in der Din-Norm. Oder Lücken bei Messungen. Das Protokoll zeige, dass die Fachingenieure „nicht durchgehend nach der Din-Norm“ gemessen haben.

Böhm zeigt mehrere Messprotokolle, in denen steht, dass in Häusern nur in einem Stockwerk alle drei für die Schwingungen wichtigen Messgrößen erfasst wurden, in den anderen aber nur deren zwei. Daten über Zuglängen und die Dauer von Durchfahren fehlten, obwohl beide zum Berechnungsfaktor gehörten, zeigt Böhm in den Tabellen.

In einem anderen Protokoll sind bei einer Außenmessung in der Siedlung Am tiefen Born mehr Ergebnisse als Messpunkte verzeichnet. „Definitiv ein Fehler“, urteilt Böhm. Die vielen Details will er in seine Einwendung ans Regierungspräsidium Darmstadt schreiben. (den)