Bad Vilbel. Sie sind sauer, sie sind laut – und sie machen ihrem Ärger Luft. Weil sie mit der Betreuungssituation in Bad Vilbel unzufrieden sind, demonstrieren zahlreiche Eltern vor dem Rathaus in Dortelweil. Ihre Forderungen erläutern sie Bürgermeister Sebastian Wysocki sowie auch dieser Zeitung.
Wenige Tage vor der Demonstration vor dem Rathaus treffen sich vier Frauen für ein Gespräch. Es wirkt wie ein Treffen befreundeter Mütter. In einem Café kommen an diesem Morgen Viola Joncic, Nana Tchavtchanidze, Yasemin Maak und Lara Fitzgibbon-Sauda zusammen. Sie haben ihre Kinder dabei. Manche spielen bereits in der dafür vorgesehenen Spielecke, andere werden noch am Tisch gestillt.
Doch schnell ist’s vorbei mit der Freundlichkeit. Die Mütter sind verzweifelt. Sie sind sich einig: »So kann es nicht weitergehen.« Gemeint ist die Betreuungssituation in Bad Vilbel, die sie als »Kitastrophe« bezeichnen. »Wir haben eine WhatsApp-Gruppe von mehr als 130 Müttern. Alle haben ähnliche Probleme. Es muss sich dringend was ändern«, sagt Viola Joncic.
Die Mütter haben gleich mehrere Ursachen ausgemacht. Sie fordern, dass die Stadt ihrer Pflicht nachkommt, allen Kindern ab einem Jahr lückenlos einen Betreuungsplatz anzubieten. Viola Joncic sagt: »Die Infrastruktur in den Neubaugebieten passt nicht.« Die Vergabe der Kita-Plätze geschehe außerdem nur nach Alter. »Auf andere Kriterien, ob jemand alleinerziehend ist, wird überhaupt nicht geachtet. Man wird in eine längere Elternzeit gezwungen. Das ist skandalös.«
Yasemin Maak berichtet, dass sie ihre persönlichen Pläne ändern musste. »Ich wollte ein Jahr in Elternzeit gehen und dann in Teilzeit arbeiten. Jetzt muss ich länger in der Elternzeit bleiben. Das macht mich unattraktiver für den Arbeitsmarkt.« Lara Fitzgibbon-Sauda erzählt, dass sie bereits im Austausch mit einem Anwalt sei. »Wir bauen derzeit und sind auf zwei Gehälter angewiesen. Wir überlegen, den Gehaltsausfall einzuklagen.« Außerdem werde bei der Vergabe – trotz Onlineportals mit Priorisierungsangabe – zu wenig auf Ort und Geschwisterkinder geachtet. »Ich fahre jeden morgen meine Kinder in verschiedene Kitas und bin ewig im Berufsverkehr unterwegs.«
Dabei werde auch nicht daran gedacht, dass die jeweilige Grundschule dann auch in einem anderen Ortsteil sein könne als die Kita. Bedeutet: Neues Umfeld, neue Wege. Lara Fitzgibbon-Sauda sagt: »Es ist nicht im Sinne der Familie, dass man sich Sorgen machen muss, wie das Kind mit dem Neuanfang umgeht.«
Die Mütter fragen sich, wie es sein könne, dass man vor zwei Jahren noch für einen Einjährigen einen Platz in der U3-Betreuung bekommen habe. Und jetzt erst mit zwei Jahren. »Was ist da passiert?«, fragt Yasemin Maak. Sie alle seien irgendwann nach Bad Vilbel gezogen. »Dieses Ausmaß war uns so nicht bekannt. Wir überlegen, wieder in Richtung Heidelberg zu ziehen und zu pendeln. Einfach, weil sich das mehr lohnt als der Verdienstausfall.«
Die Mütter sind sich einig: Die Stadt müsse schnell Lösungen finden. Man habe zu spät die Gehälter für Erzieherinnen und Erzieher erhöht. Das sei ein großes Problem. Deshalb brauche es Tagesmütter, um kurzfristig zu helfen. »Personalsuche ist eine Aktivitätsfrage«, sagt Lara Fitzgibbon-Sauda. Nana Tchavtchanidze ergänzt: »In Frankfurt werden beispielsweise junge ukrainische Frauen angeworben. Solche Bemühungen habe ich hier noch nicht gesehen.«
Wichtig sei den Müttern und Vätern aber auch, dass es ihnen nicht nur darum gehe, Ärger zu machen. Viola Joncic sagt: »Wir müssen gemeinsam Lösungen erarbeiten. Wir wollen alle zusammenbringen.« Verwaltung, Elternvereinigungen, Eltern, andere Träger. »Dann können wir Probleme identifizieren und Lösungen erarbeiten.«
13 städtische Plätze
sind nicht besetzt
Bei der Stadt zeigt man für die Ausführungen zwar Verständnis, will aber nicht alle Punkte so stehen lassen. Das Problem sei nicht nur ein städtisches. Es gibt eine Betriebserlaubnis, die vorgebe, wie viele Plätze die Stadt in den Einrichtungen maximal vorhalten können und diese gibt für die elf städtischen Kitas im Ü3-Bereich 776 Plätze vor. U3 sind es 226 Plätze. Wegen fehlenden Personals nicht besetzt sind derzeit 13 Plätze. Bei freien und kirchlichen Kita-Trägern in Bad Vilbel fehlen insgesamt mehr als 100 Betreuungsplätze.
Stadtsprecher Schwander sagt: »Allerdings muss man auch sagen, dass die Zahlen grundsätzlich nicht immer die Realität abbilden, denn sie schwanken. Es gibt zwar eine Zahl der maximal möglichen Plätze nach Betriebserlaubnis, aber diese kann im Grunde nie ausgefüllt werden, da beispielweise sogenannte Inklusionskinder aufgrund eines erhöhten Betreuungsbedarfs zu einer Platzreduzierung führen. Zusätzlich ergeben sich natürlich auch Problematiken durch den allgemein bekannten Fachkräftemangel.«
Zur Vergabe – auch mit Blick auf die Geschwisterkinder – sagt Schwander, dass diese eine komplexe Angelegenheit sei, die bei der Stadt stets im Team und somit nach dem »Mehraugen-Prinzip« vollzogen werde. »Unter anderem gibt es dabei eine Kombination zwischen dem Einrichtungswunsch der Eltern und dem Geburtsdatum der Kinder. Natürlich werde nach Möglichkeit auch beachtet, ob es Geschwisterkinder in einer Einrichtung gibt. Ob dies zum Zuge kommen kann, komme aber auch immer auf das Platzangebot der jeweiligen Einrichtung zum Zeitpunkt der Vergabe an.«
Für die Sorge, dass Kinder, die U3 in privaten Einrichtungen sind, im städtischen Ü3 keinen Platz bekommen, hat er Verständnis. »Allerdings lässt sich hier letztlich nie komplette Gerechtigkeit für alle herstellen. Wir achten jedoch beispielsweise darauf, dass beim Übergang von U3 auf Ü3 die pädagogische Bindung bestehen bleibt, die für Kinder vor allem im Übergang sehr wichtig ist.«
Wenig Verständnis gibt es für die Kritik um die mangelnde Bemühung nach Fachkräften. »Was die Anwerbung von Personal für Kitas betrifft, müssen wir uns nun wirklich nicht verstecken.« Erst am Wochenende habe der alljährliche Bewerbertag stattgefunden. Man werbe auf allen gängigen Portalen um Fachkräfte, habe in jeder Einrichtung Ausbildungsbeauftragte, die dafür auch eine zusätzliche Vergütung erhalten. »Seit vergangenem Jahr zahlen wir den Erzieherinnen und Erziehern auch eine höhere Vergütung, bieten ein Jobticket an und halten Wohnraum für Erzieherinnen und Erzieher, die zuzugswillig sind, vor.« Seit Februar seien zudem die ersten in Spanien angeworbene Erzieherinnen (siehe Seite 3) angekommen. Das zeige, dass die Stadt auch unkonventionelle Wege zur Schließung der Fachkräftelücke gehe.
Von Patrick Eickhoff