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Was geschieht mit den anderen? – Wort zum Sonntag

Konfirmanden nehmen öfter an Aussagen der Bibel Anstoß, die exklusivistische Tendenzen aufweisen. Zum Beispiel an der Selbstvorstellung des alttestamentlichen Gottes im l. Gebot „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“ Oder im Zusammenhang mit mancher Aussage Jesu, in der er Menschen in seine Nachfolge ruft: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis“. Da wurde gefragt: Und wie ist es mit den anderen Religionen? Sind ihre Anhänger auf dem Holzweg? Was ist mit denen, die dieses Licht nicht kennen?

In meiner Studienzeit wurde diese Problematik auch thematisiert. Ein Professor gebrauchte ein Bild, das sich mir im Gedächtnis festgesetzt hat: Als Christen stünden wir nicht auf einer Bahnbrücke, um Fahrtrichtung und Zielorte der einzelnen Züge ausmachen zu können. Wir befänden uns vielmehr in einem der Züge, der seit fast 2000 Jahren unterwegs sei und dessen Ziel eigentlich feststünde. Im Grunde genommen wollte unser Theologielehrer sagen, dass es für Christen müßig sei, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was mit den anderen geschieht, weil wir doch selbst nicht außenstehende, neutrale Betrachter seien, sondern in die Geschichte Gottes, den wir als den Vater Jesu Christi bekennen, einbezogen sind.

Das Bild gefiel mir. Ob es auch andere junge Menschen überzeugt, die fragen, was mit den anderen passiert? Doch Fragen ist im Konfirmandenunterricht mehr als erwünscht! Und häufig wird es grundsätzlich: Wenn Gott alle Menschen geschaffen hat, dann gilt seine Liebe auch allen Menschen, dann kann er es doch nicht zulassen, dass Menschen in Unwissenheit verloren gehen! Mir selbst ist wichtig, dass der Gott der Bibel und Jesus von Nazareth die Menschen in ihrer Würde, d.h., in ihrer Verantwortung und Freiheit, ernst nehmen und sie folglich die Möglichkeit haben, ja oder nein zu sagen. Die Einladung etwa, den Weg der Gebote und des Gehorsams zu gehen, wird für Israel so begründet: „Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein.“ Die Zehn Gebote als Grenzsteine der Liebe und Freiheit zu verstehen, die ernst genommen, aber auch abgelehnt werden können, ist Gottes Angebot zu einem gelingenden Leben.

Jesus wollte nicht erschrockene, von sensationellen Taten überwältigte Männer und Frauen in seiner Nachfolge haben, sondern solche, die ihm verantwortungsbewusst und aus freien Stücken folgen, in seinem Geiste denken und handeln. Deshalb hat wohl auch die machtlose und verfolgte junge Christenheit an der Überlieferung festgehalten, dass der zum Kreuzestod verurteilte Jesus jede Machtdemonstration kategorisch ablehnte. Der Jesus, der in einer Situation, wo alles verloren scheint, an Gott festhält, könnte doch auch für uns den entscheidenden Hinweis geben: Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben! (Mark.9,24)
Die Antwort auf die zu allen Zeiten und für alle Generationen aktuelle Frage „Und was geschieht mit den anderen?“ sollten wir der Kompetenz dessen überlassen, der allein Glauben schenkt.

Es grüßt Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein nach wie vor nachdenklicher
Hans Karl Heinrich,
Pfarrer der ev. Kirche Gronau