Bad Vilbel. 75 Jahre ist es her, dass die ersten Flüchtlinge und Heimatvertriebenen auf die ehemalige »Vilbeler Höhe« kamen, um eine Siedlung zu bauen. Ostpreußen, Sudetendeutsche, Schlesier – ihre Nachfahren in zweiter und dritter Generation waren am Sonntag zahlreich zum Stadtteilrundgang erschienen.
Peter Schöttner, der die Führung leitete, konnte ihnen an den einzelnen Stationen wissenswerte und kurzweilige Anekdoten erzählen. Seit 2008 bietet er als Mitglied des Geschichtsvereins zwei bis drei Führungen pro Jahr durch den Stadtteil an. Im Jubiläumsjahr dürften es wohl ein paar mehr werden.
Vom Treffpunkt an der Bushaltestelle »Alte Frankfurter Straße« bewegte sich die Gruppe zunächst in die Straße Am Hang, wo am 10. Juli 1946 mit dem Bau der ersten Häuser begonnen wurde. Das Baumaterial stammte vom Müllplatz der Amerikaner, von der Familie Vogel, die das einzige Haus am ehemaligen Truppenübungsplatz bewohnte, sowie aus den Ruinen der zerstörten Stadt Frankfurt.
Als Bautrupp fungierten zwölf südosteuropäische Ex-Kriegsgefangene aus einem Lager in Dieburg. Anfangs hatten die Männer weder Spaten noch sonst irgendein geeignetes Handwerkszeug. Hilfreich dagegen war die private Wasserversorgung der Familie Vogel. Später konnte die Hauptwasserleitung der Oberhessischen Versorgungsbetriebe mitgenutzt werden.
»Die Häuser sahen fast alle gleich aus und waren aus Lehm gefertigt«, berichtete Peter Schöttner. »Deswegen wurden die Siedler auf dem Heilsberg von den Vilbelern auch »Lehm-Adel« genannt.«
Ein Stück weiter, im Freudenberg-Park, erzählte ein Zeitzeuge von »zahlreichen Keilereien«, die es am dortigen Hang zur Kernstadt gegeben habe. Die Heilsberger Jugendlichen hätten sich an der Stelle immer zurückgezogen und ihre großen Brüder geholt. »Dann bekamen die Vilbeler ihre Dresche«, erinnerte sich der Mann. Der Freudenberg-Park ist nach dem ersten Seelsorger an der Heilig-Geist-Kirche, Pfarrer Adolf Freudenberg, benannt worden.
»Seinen Namen hat der Heilsberg im Juni 1948 bekommen«, erklärte Stadtführer Schöttner. »Bei der Namensgebung konnten sich die Ostpreußen gegen die Schlesier durchsetzen. Die Schlesier hätten ihre neue Bleibe lieber anders getauft.«
Großen Verdienst am Aufbau der Siedlung hatte das Evangelische Hilfswerk für Hessen und Nassau. Nach und nach entstand vor den Toren von Frankfurt die größte Flüchtlingssiedlung im Westen Deutschlands. »Trotz aller Fortschritte dachten viele Bewohner, dass sie nach höchstens zwei Jahren wieder in ihre alte Heimat zurück könnten«, sagte Schöttner.
In der Friedensstraße wurde der Standort der ehemaligen Siedlerkirche in Augenschein genommen. Das kleine Gotteshaus steht heute in Altenstadt. Im Mai und September wollen die Heilsberger dem Gebäude jeweils einen Besuch abstatten.
Weitere Stationen des Spaziergangs waren unter anderem die Sudetenlandsiedlung und die sogenannte Ami-Siedlung im Südwesten, wo der spätere US-Außenminister Colin Powell einige Zeit wohnte. Im Anschluss fand ein Treffen der Geschichts-AG statt. Myriam Gellner, Moderatorin der Gruppe, berichtete über die konstruktive Zusammenarbeit. »Es begeistert uns, wie viele interessierte Bürgerinnen und Bürger sich für die Geschichte ihres Stadtteils aktiv einbringen möchten. Wir sind dabei, ein buntes Programm auf die Beine zu stellen.« Gellner zählte weitere Stadtteilführungen, Sofa-Gespräche mit Zeitzeugen, Geschichts-Cafés sowie einen Film- und Dia-Abend auf. »Unser Wunschtraum ist eine Ausstellung zur Stadtteilgeschichte an geeigneter Stelle auf dem Heilsberg«, fügte Myriam Gellner hinzu. Die Arbeitsgruppe ist über die E-Mail-Adresse heilsberg-geschichte@gmx.de erreichbar. Von Jürgen Schenk