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Umwerfend komisch, klug und bissig

Umwerfend komisch, klug und bissig: Die Inszenierung »Carmen á trois« mit Sabine Fischmann und Michael Quast als verliebter José. Foto: Schneider
Umwerfend komisch, klug und bissig: Die Inszenierung »Carmen á trois« mit Sabine Fischmann und Michael Quast als verliebter José. Foto: Schneider

Bad Vilbel. »Wundervoll – das war ein Stück, bei dem man endlich einmal alle Sorgen rundum vergessen konnte.« »Ich habe schon viel von ›Carmen á trois‹ gehört, wusste aber nicht, dass Michael Quast und Sabine Fischmann derart vielseitig sind – kluge Komik, Musikalität, Schauspielkunst und choreografische Qualitäten auf hohem Niveau.« Mit stehenden Ovationen hat das Publikum der Bad Vilbeler Burgfestspiele das Gastspiel »Carmen à trois« mit Michael Quast, Sabine Fischmann und Pianist Markus Neumeyer in der Wasserburg gefeiert.
Basierend auf einer gründlichen Werkanalyse des Opernklassikers förderten das Schauspiel-(Traum-)Paar und sein kongenialer Partner am Flügel die witzigen, bissigen und satirischen Seiten des Stoffs zutage, bei dem es um das Ewig-Weibliche, -Männliche und alles dazwischen geht: Einschließlich der wiederholt und gnadenlos brütenden Hitze über Spanien, hysterischen Jung-Arbeiterinnen und Macho-Toreros, verängstigten Schmugglern und verliebten Soldaten, nuschelnden andalusischen Wirten und schwäbischen Müttern, brutalen Corrídas und geheimnisvollen Tarot-Séancen, Duellen im rasanten Flamencostil und leidenschaftlicher Liebe mit tödlichem Ausgang.
Befreiende Sichtweise
auf legendären Stoff

Zur musikalischen Bearbeitung von Rhodri Britton eignete sich das Trio der »Fliegenden Volksbühne Frankfurt Rhein-Main« unter der Regie von Sarah Groß die dramatische Erzählung nach dem Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy und der zugrunde liegenden Novelle von Prosper Mérimée auf ironisch-karikierende und höchst amüsante Weise an, ohne dabei despektierlich zu wirken. Vielmehr ist Georges Bizets »Carmen« ursprünglich tatsächlich als »Opéra comique« konzipiert und mit zahlreichen gesprochenen Dialogen versehen, die von Quast und Fischmann in rasantem Tempo, mit klassischen und quäkenden Gesangseinlagen, dröhnendem Beckeneinsatz, Zimbeln, Melodica und zahlreichen Naturgeräuschen umgesetzt wurden.
Allein die Tierstimmen-Imitationen durch Michael Quast wären einen Theaterbesuch in der Wasserburg wert gewesen, ebenso die selbstbewusst inszenierte Erotik von Sabine Fischmann als klassisch ausgebildeter Sängerin, Pianistin und Dozentin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt. Gerade in diesen sinnlichen Sequenzen geriet unvermutet auch Markus Neumeyer in die Rolle des Stierkämpfers Escamillo, dem Carmen ihre Liebe zuwendet – dafür musste sich der Pianist bei anderer Gelegenheit im Eifer des Gefechts und im wahrsten Sinne des Wortes vom Hocker hauen lassen.
Dem Trio gelang eine befreiende, teilweise regelrecht anarchische Sichtweise auf den legendären Stoff, der seinerzeit selbst in seiner Direktheit, Dramatik und Ansiedelung beim einfachen Volk einen Bruch und eine radikale Innovation innerhalb der Opernwelt darstellte. Insofern folgt die Übertragung ins Komische einem vorgezeichneten Weg in Sprache und Musik, wie ihn auf geniale Weise auch Karl Kraus und Karl Valentin gegangen sind.
Kein Wunder, dass Quast und Fischmann mit ihren Adaptionen der Fledermaus, mit Hoffmanns Erzählungen und Don Giovanni bereits zu den Salzburger Festspielen eingeladen und gefeiert wurden.
Auch in Bad Vilbel hinterließen sie nachhaltigen Eindruck. Neben der Vielzahl der mit sparsamen Requisiten dargestellten Personen beeindruckte vor allem die Rasanz der Szenenwechsel, die rasche Abfolge an musikalischen Gags, die ausdrucksvolle Körpersprache beider Mimen und die scheinbar mühelose Harmonie und Übereinstimmung, die Komik auf hohem Niveau erst möglich macht, ohne in Klamauk abzugleiten.
Ist doch die humorvolle musikalische und szenische Performance in Wahrheit die Kür, die nur diejenigen bewältigen, welche die Pflicht der Klassik in Vollendung beherrschen. Mit »Carmen á trois« war dieses Phänomen in Perfektion zu erleben – so die einhellige Meinung des Publikums. Von Inge Schneider