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Über Heimat und Fremdsein � Jüdische Holocaust-Überlebende berichten an der Kennedy-Schule über ihre Schicksale

Bad Vilbel. Was ist Heimat? Was ist das Gefühl von Fremdsein? Diese Fragen standen für die 13- bis 14-jährige Jugendliche der achten Hauptschulklassen der John-F.-Kennedy-Schule im Mittelpunkt eines Unterrichtsbesuches von sechs jüdischen Überlebenden des Holocausts: Lili und Djordje Alpar, Alla Iourkevitch, Eva Szepesi, Rachel Silberfeld und Trude Simonsohn standen ihnen im Rahmen des Projektes „Trialog der Kulturen“ der Herbert-Quandt-Stiftung als Gesprächspartner in Kleingruppen zur Verfügung.

Lili Alpar lebt seit mehr als 40 Jahren in Deutschland, „aber ich kann nicht sagen, dass ich Deutsche bin“, gibt die 87-Jährige gegenüber Indira, Priscilla und Gaetano zu. Die Eltern von Indira stammen aus Mazedonien, die von Priscilla aus Syrien und Gaetanos Eltern sind italienischer Herkunft. Den drei Jugendlichen ist ihr eigenes Deutschsein selbstverständlich, aber sie können Lili Alpars Gefühle verstehen, denn sie hat von ihrer Geschichte erzählt. Sie konnte mit Glück als Achtzehnjährige in Jugoslawien aus einem Zwangsarbeiterlager der deutschen Besatzer fliehen und unter falschem Namen Krieg und den Völkermord an den Juden überleben.

In Belgrad lernt sie ihren Mann Djordje kennen und begleitete ihn, als dieser aus beruflichen Gründen 1967 nach Deutschland ging. Sie könne es sich selbst nicht erklären, aber „obwohl ich in Serbien viel Schlechtes überlebt habe, ist es doch meine Heimat. Ich sage immer, ich bin Jüdin und komme aus Ex-Jugoslawien. Es ist mir wichtig zu zeigen, dass ich Jüdin bin. Dabei bin ich nicht sehr religiös.“ Sie zeigt den Jugendlichen ihre Halskette: „Hier die mit dem jüdischen Stern trage ich immer. Ich will, dass in meiner Gegenwart nichts Antisemitisches gesprochen wird.“ Heimat, das ist für Lili Alpar aber auch ihre Familie. „Vielleicht weil ich früh meine Eltern und Großeltern verloren habe“, erklärt sie weiter.

Mit ihren Enkeln ist sie regelmäßig nach Serbien gefahren. „Sie sollen wissen, was geschehen ist. Wenn jemand sagt Auschwitz hat nicht existiert und die Vernichtung von Millionen von Juden hat es nicht gegeben, dann sollen sie antworten können: Doch, meine Großmutter hat überlebt und uns die Orte gezeigt.“

Das Gefühl von Fremdsein kenne sie gut, antwortet Lili Alpar auf eine Frage von Priscilla. „Fremdsein bedeutet das Gefühl, etwas nicht machen zu können, was andere selbstverständlich machen.“ So habe sie jahrelang bei ihren Reisen Angst vor uniformierten Grenzbeamten gehabt: „Ich wusste, es sind andere Zeiten und sie tun mir nichts, aber ich hatte Angst.“

Und als Resümee gibt Lili Alpar den Kennedy-Schülern mit auf den Weg, dass alle Menschen erst einmal gleich sind. Ob sie gut oder böse sind, habe nichts mit Religion oder Nationalität zu tun.

Das Gleiche hat auch Alla Iourkevitch einer anderen Kleingruppe ans Herz gelegt. Sie hat als achtjähriges Mädchen miterleben müssen, wie bei der Evakuierung aus der Ukraine der Zug von deutschen Flugzeugen beschossen wurde, obwohl erkennbar keine Soldaten dabei waren und der Transport weg von der Front fuhr. „Ich habe Tote gesehen – ohne Kopf und Arme. Es war schrecklich.“ Schrecklich waren auch die Ratten in der Baracke, in der sie nach der Evakuierung in den Ural oft allein sein musste, während die Mutter zur Arbeit war. Der Vater war erschossen worden, als er an Typhus erkrankt war und nicht mehr arbeiten konnte.

Den Gesprächen mit den jüdischen Senioren war an der Kennedy-Schule ein Treffen mit christlichen Gesprächspartnern vorausgegangen. Nun soll noch eine Zusammenkunft mit Moslems erfolgen, erklärten die Lehrerinnen Regina Skodzik-Florian und Christine Schröder.