Karben. Meter um Meter gräbt sich die Baggerschaufel tiefer ins immer lehmiger werdende Erdreich. Aber außer Kalksteinbrocken bringt sie keine Steine ans Tageslicht. Keine Reste von Mauerwerk. Nichts, was von Menschenhand bearbeitet wurde. Mit jedem Zentimeter ausgehobener Erde scheint die Chance auf den Fund des sagenumwobenen Fluchttunnels von Burg-Gräfenrode zu schwinden.
Wo versteckt er sich? Generationen von Roggauern haben sich schon mit dieser Frage beschäftigt. Die Alten gaben einst sogar zu Protokoll, sie hätten als Kinder in einem Geheimgang bei der Oberburg gespielt. War das wirklich alles nur eine Illusion?
1867 wurden große Umbaumaßnahmen am Hauptgebäude des Schlosses vorgenommen. Schon damals gab es Vermutungen über einen unterhalb des Bodenniveaus angelegten Tunneleingang im Turm der Oberburg. Dieser Eingang soll vom Gewölbekeller aus erreichbar gewesen sein. Dort kann man noch heute an einer Stelle den zugemauerten Durchgang erahnen. Der Treppenturm dahinter ist bis zum Parterre mit Steinen und Geröll verfüllt.
Pfarrer Wilhelm Ludwig Voltz stellte während der Umbauarbeiten im Keller – und wahrscheinlich nicht nur da – eigene Nachforschungen an, die jedoch ohne Erfolg blieben. »Was man alles von einem langen unterirdischen Gang gesagt hat und noch sagt, ist gefabelt. Es ist nichts weiter als der zugemauerte Kellerzugang«, schreibt er 1867 etwas ernüchtert in die Roggauer Kirchenchronik.
Weiteren Nährboden erhielten die Spekulationen in den 1970er-Jahren, als bei Ausschachtungsarbeiten für einen Wohnhausneubau der Familie Kötter (Einsiedelweg 10) Spuren eines Ganges gefunden wurden. Es sei eine gewölbeartig abgedeckte Höhlung angeschnitten worden, berichtet dazu der Heimatforscher Wilfried Rausch in seinem 1982 erschienen Buch »Es klingt aus alten Tagen. Ein Burg-Gräfenröder Heimatbuch«. »Die völlig eingebrochene Höhlung wies eine Nord-Süd-Orientierung auf und lag mit ihrer Gewölbeoberkante ca. 0,7 bis 1,0 Meter unter der Straßenoberfläche. Das Mauerwerk bestand aus Kalksteinbruch, wie es früher in der alten Steinkaute abgebaut wurde. Es ist das gleiche Mauerwerk, wie es auch im Keller der Oberburg vorkommt«.
Ein etwaiger Fluchttunnel hätte im Bedrohungsfall für Burgbesatzung und Einwohner eine Möglichkeit geboten, sich ungesehen in Sicherheit zu bringen. Fluchtziel wäre in diesem Fall wohl das Kloster Ilbenstadt gewesen. »Einen Gang bis nach Ilbenstadt hat aber niemand gegraben«, ist sich Friedhelm Schubert sicher. »Das wäre viel zu weit gewesen. Es muss in der Gemarkung irgendwo einen versteckten Ausgang gegeben haben.«
Bei 2,30 Metern
stoppt die Grabung
Der langjährige Pfleger des Burggartens kennt wie kein anderer die Gegebenheiten vor Ort. Er war es auch, der immer wieder in Gesprächen mit dem Heimat- und Kulturverein auf Anomalien im Boden aufmerksam machte. Mit der Wünschelrute sei er in der Lage, verschiedene Strahlungsfelder im Erdreich zu erfühlen. Mit dieser Gabe, die schon vor Jahrhunderten bei der Schatzsuche angewandt worden sei, habe er im Vorfeld der Grabung einen vagen Verlaufsstreifen eingrenzen können. Wissenswert ist in diesem Zusammenhang, dass das gesamte Burgareal früher um ein Vielfaches niedriger lag.
Fast sechseinhalb Kubikmeter Erde hebt Baggerfahrer Gerri Herrmann von der Gartenbaufirma Werner aus Limeshain aus. Bei einer Tiefe von 2,30 Metern gebieten sein Chef, Bernd Werner, und der anwesende Bürgermeister Guido Rahn Einhalt. Die Stadtplaner dürfen aufatmen. Für ihre Interessen ist die ergebnislose Suchaktion eine Erleichterung, wie man der Reaktion des Bürgermeisters unschwer entnehmen kann. Der neue Kinderspielplatz im Burggarten kann also wie geplant innerhalb der nächsten Wochen fertiggestellt werden. Ganz ohne archäologische Untersuchungen.
Aber: Nicht alle Anwesenden sind vom Ergebnis der schnell eingeschobenen Grabung restlos überzeugt. »Dann müssen eben die Menschen nach uns irgendwann den Geheimgang finden«, scherzt Frank Ulrich vom Heku-Vorstand. Und etwas abseits vom allgemeinen Trubel meint der Baggerführer, er hätte wohl eher noch weitergegraben. Da bleibt nur eines zu sagen: Die Legende ist tot, es lebe die Legende! Von Jürgen Schenk
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