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Stress mit der Bahn – Zwischen flotten Werbesprüchen und harter Wirklichkeit klafft oft eine Lücke

Mit markigen Werbesprüchen wie „Die Bahn macht mobil“ und Versprechungen wie „Ganz gleich, welches Angebot Sie als Pendler oder Vielfahrer nutzen, mit der Bahn pendeln Sie stress- und staufrei“ wirbt die Deutschen Bahn um Kunden. Und das mit Erfolg, wie ein Blick auf die Fahrgastzahlen zeigt.

Bad Vilbel. In 2012 verzeichnete das Unternehmen einen Fahrgastrekord. Die Zahl der Fahrgäste ist seit 2006 fast kontinuierlich gestiegen. Fast zwei Milliarden Mal sind Menschen 2012 mit der Bahn gefahren. Das sind 49,5 Millionen Mal mehr als im Vorjahr. „Bahn fahren war noch nie so beliebt wie heute“, vermeldet das Unternehmen stolz. Zu den Stammkunden der Bahn gehört Andreas Kaßner. Er nutzt die Bahn nicht nur in seiner Freizeit, sondern pendelt regelmäßig zwischen seinem Wohnort Bad Vilbel und seinem Arbeitsplatz Ludwigsburg. Seine Erfahrungen decken sich nicht mit den Werbeslogans. „Von stressfrei kann keine Rede sein“, bedauert er.

„Passend zahlen“

Der Stress beginnt bereits morgens auf dem Vilbeler Nordbahnof. Regelmäßig ist dort der einzige Automat auf dem Bahnsteig defekt. „Bitte warten, der Automat wird hochgefahren…“, „passend zahlen“ oder „defekt“ lauten die Botschaften im Display. Drei Minuten bleiben Kunde Kaßner bis zur Abfahrt der S-Bahn in Richtung Frankfurt. „Ich habe vier DB-Sicherheitsleute angesprochen, wie ich mich bei dieser regelmäßig erscheinenden Meldung verhalten soll. Steige ich ohne einen Fahrschein ein, dann fahre ich schwarz. Alle angesprochenen DB-Mitarbeiter verwiesen mich auf den Automaten am gegenüberliegenden Bahnsteig.“

Für den sportlichen Bahnkunden ist der Sprint treppab, treppauf und wieder zurück kein Problem. Doch in der Hauptverkehrszeit stehen mehrere Kunden vor einem funktionierenden Automaten. „Die Bahn sollte einmal testen wie lange ich für einen Fahrkartenkauf benötige. Und wieviele S-Bahnen ich in dieser Zeit verpasse, wenn zehn Personen eine Fahrkarte kaufen müssen, wenn nur noch ein Automat direkt pro Bahnsteig erreichbar ist. Als Kunde erwarte ich für 4,25 Euro (BV nach FFM) auch eine Gegenleistung in Form von entspanntem Kartenkauf, pünktlicher Abfahrt und Ankunft.“

Da die Realität eine andere ist, kann es leicht passieren, dass die S-Bahn auf dem gegenüberliegenden Bahngleis ohne ihn zur Frankfurter Hauptwache fährt. Das passierte dem passionierten Bahnfahrer bereits mehrfach auch an den Wochenenden in seiner Freizeit. Was ihn natürlich besonders ärgert. Da bleibt dann nur noch die nächste Bahn 30 Minuten oder sonntags vor 12:30 Uhr eine Stunde später zu nehmen, falls sie kommt und nicht ausfällt. „Besäße ich montags Morgens nicht schon meine Fahrkarte nach Ludwigsburg, würde ich oft alt aussehen.

Betroffen bin ich von den nicht funktionierenden Automaten wie andere, die eine Fahrkarte kaufen wollen, aber immer in meiner Freizeit von Freitag- bis Sonntagabend. Früher gab es drei Automaten auf dem Nordbahnhof. Zwei vor dem Gebäude und einen dritten in der Eingangshalle. Heute nur noch einen auf jedem Bahnsteig.“

Bahnkunden, die nicht so mobil sind wie er, könnten den Aufzug nehmen, um von einem zum anderen Bahngleis zu gelangen. Doch leider streikt dieser ebenso regelmäßig wie der Fahrscheinautomat. Zuletzt wieder am Freitag, 5. Juli. Der Aufzug geht nicht. Endstation für einen Rollstuhlfahrer.

„Automat und Aufzug Richtung Frankfurt streiken öfters“, bestätigt auch Anton Amadu aus Niederdorfelden. Er wurde bereits mehrmals Zeuge wie Kunden bei der Bahn anriefen und sich beschwerten. Andreas Kaßner beließ es nicht bei einer mündlichen Beschwerde, sondern wandte sich bisher ohne Erfolg bereits mehrmals an das Unternehmen.

So fehlen in den Eingabefeldern des Sparpreisfinders im Auswahlmenü die beiden Orte Bad Vilbel (Startbahnhof) und Ludwigsburg Wüstenrot (Zielbahnhof). Es geht ausschließlich um die beiden Felder für die Eingabe von/nach. „Im Sparpreisfinder fehlt „Bad Vilbel Bahnhof“. Ich bat darum, meinen Hinweis an die IT-Abteilung der Bahn weiterzuleiten mit der Bitte die Software zu testen.“ „Wer komfortabel, umweltfreundlich und schnell reisen will, nimmt den Zug“, sagt der oberste Bahnchef Rüdiger Grube.

Übervolle Züge

Die DB-Kunden Kaßner und Amadu beklagen weitere Schattenseiten ihres täglich genutzten Transportmittels. Immer mehr Fahrgäste bedeute immer weniger Platz in den Zügen. Das räumt auch Bahnchef Rüdiger Grube in Interviews ein: „Selbst an normalen Wochentagen sind unsere Züge manchmal übervoll.“ In den modernen Abteilen des Interregio wie dem“Stockheimer Lieschen“ gibt es weniger Sitzplätze als zuvor, die Gepäckablage ist kleiner, die Fenster lassen sich nicht mehr öffnen und das bei ständig defekter Klimaanlage, zählt der Bahnkunde aus Niederdorfelden auf. „Fällt ein Zug aus, ist im nächsten kein Platz mehr.“ Kein Wunder ist doch das Platzangebot in den Zügen seit 2006 fast im gleichen Maße gesunken, wie die Nachfrage zugenommen hat.

Ob die Bahn sich die Anregungen dieser beiden und vieler anderer Kunden annimmt, ist offen. Sicher ist aber, dass im Herbst die Fahrpreise steigen. Der Bahnchef führt zur Begründung „erhebliche Zusatzkosten“ durch die steigende Umlage für Ökostrom und den jüngsten Tarifabschluss an.