Karben. „Nachbarn, mit denen man über Generationen zusammen gelebt hatte, waren plötzlich nicht mehr da und kamen nicht wieder.“ Karbens Stadtverordnetenvorsteherin Ingrid Lenz (CDU) steht mit hundert anderen am Sonntagnachmittag auf dem Platz an der Heldenberger Straße 1 in Groß-Karben. Dort verlegt Künstler Gunter Demnig aus Köln die ersten von 14 Stolpersteinen, mit denen Karben an seine jüdischen Bürger erinnert, die hier vor dem nationalsozialistischen Regime lebten und bis auf wenige Ausnahmen alle in Konzentrationslagern ermordet wurden. Mit den ersten Stolpersteinen wird an das Schicksal der Familien Junker, Rosenthal, Hirsch und Grünebaum aus Groß-Karben erinnert.
Die Recherche und Zusammenstellung der Daten als Vorarbeit für die Verlegung hat die Initiative Stolpersteine geleistet. „Aktiv und sichtbar tun wir etwas gegen das Vergessen. Die verlegten Steine sind als Botschaft der Erinnerung das Fundament für die folgenden Generationen in Karben“, sagt Bürgermeister Roland Schulz (SPD). Unter den Besucher sind Politiker, Vertreter von Vereinen, Institutionen und viele Bürger. Vor allem das Interesse von Jugendlichen freue ihn besonders, sagt Demnig. Karben ist die 280. Kommune, in der er seine Stolpersteine verlegt. Für sein Projekt wurde Demnig schon 2005 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Außer in Deutschland habe er in Österreich und Ungarn Stolpersteine verlegt. In Kürze sollten weitere in Holland folgen. Die Idee breite sich langsam in Europa aus. Demnig dankt den Karbener Initiatoren und den Paten, deren gemeinsames Engagement die Säulen für das Projekt bildeten.
Dann beginnt er mit der Verlegung der zehn mal zehn Zentimeter großen Betonquader mit Messing-Oberfläche ins Pflaster des Bürgersteiges. Die feierliche Zeremonie beginnt in der Heldenberger Straße 1 und 3 zur Erinnerung an die Schicksale der Familien Junker und Rosenthal. Manfred Rosenthal, genannt „Fredi“, wanderte als 18-Jähriger am 17. August 1938 nach New York aus. Seine Eltern Moritz und Rosa Rosenthal wurden am 27. September 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo der Vater starb. Mutter Rosa überlebte und zog nach 1945 zu ihrem Sohn in die USA, berichtet Sofia Redeker. Sie, Anna Bornefeld, Verena Fingerling, Nadine Menzl und Viktoria Weitzel, alle Schülerinnen der Kurt-Schumacher-Schule, berichteten vor den jeweiligen Häusern über die Schicksale der Familien. Sie finde es wichtig, dass sich „so etwas Schlimmes nicht wiederholen darf“, erklärt Verena Fingerling ihre Motivation. Zudem passe das Engagement gut in das Comenius-Projekt, in dem die Schülerinnen an der Schule unter Leitung von Lehrer Herbert Debus mitmachen und bei dem Völkerverständigung und die Arbeit für den Frieden eine wichtige Rolle spielten.
Die Initiative Stolpersteine stellte ihnen die Informationen zu den Familien und ihren Schicksalen zur Verfügung. Die kurzen Vorträge arbeiteten die Schülerinnen in wenigen Tagen selbst aus. Von den Geräuschen vorbeifahrender Fahrzeuge abgesehen herrscht Stille, als sie die Schicksale vortragen, während Demnig die Stolpersteine im Boden verankert. Anschließend gedenkt Rabbiner Andrew Steimann aus Frankfurt mit Gebeten an die Seelen der Toten. „Mögen sie Ruhe finden im Garten Eden.“ Dann werden zum Gedenken an Familie Hirsch Stolpersteine vor dem Haus Wilhelmstraße 16 und an die Schwestern Grünebaum vor dem Haus in der Parkstraße 1 ins Pflaster eingelassen.