Lucia André ist SPD-Stadtverordnete, sitzt im Sozialausschuss. Die vierfache Mutter arbeitet seit 14 Jahren in Vilbel im Befreich der ambulanten Altenpflege. Die Verbesserung der Wohn- und Lebensverhältnisse von Familien und älteren Menschen seien ihr ein besonderes Anliegen, hat die stellvertretende Vorsitzende der SPD wiederholt erklärt. Mit Lucia André sprach BVA-Mitarbeiter Dieter Deul.
Braucht Bad Vilbel weitere Heimplätze?
LUCIA ANDRÉ: Vor einem Jahr gab es noch längere Wartezeiten für einen Heimplatz, heute können Sie innerhalb einer Woche einen Heim- oder Kurzzeitpflegeplatz in Bad Vilbel oder Karben bekommen. In Frankfurt soll es ständig cirka 400 freie Plätze geben. Wieweit diese doch entspannte Situation anhält, mag ich nicht beurteilen.
Welche Angebote sind am nötigsten?
ANDRÉ: Wir benötigen ein flexibles Netz von Hilfen und Wohnformen, die dem Wunsch der meisten Menschen entsprechen, so lange wie möglich selbstbestimmt in der vertrauten Umgebung zu bleiben. Viele kleine Wohneinheiten mit Möglichkeiten der gegenseitigen Hilfe und Hilfen durch Angehörige wären ideal. Auch der Gesetzgeber vertritt den Grundsatz „Ambulant vor stationär“ – schon aus Kostengründen. Ein Heimplatz kostet 3000 Euro im Monat. Schon heute müssen für cirka 400 000 Bewohner von Altenheimen die Heimkosten über die Sozialämter mitgetragen werden, weil Pflegeversicherung, Rente oder Vermögen nicht ausreichen.
Schon jetzt gibt es zu wenige Pflegekräfte. Welche Folgen hat die zusätzliche Nachfrage auf die bestehenden Häuser?
ANDRÉ: Die Häuser werben sich gegenseitig gute Pflegekräfte ab. Die privaten geführten Häuser machen das über Sonderleistungen oder Zugeständnisse bei der Gestaltung des Dienstplans, häufig zum Nachteil der vorhandenen Belegschaft. Fehlendes Stammpersonal wird durch Aushilfen oder Zeitarbeitspersonal ersetzt. Weil es im Krankheitsfall häufig keine Reserven mehr gibt, werden Überstunden und Doppelschichten gemacht. Die Personalsituation und die Pflegequalität werden bei einem verschärften Wettbewerb noch mehr leiden, weil bei Einnahmeverlusten zuerst beim Personal gespart wird, was wiederum die Fluktuation oder den Ausstieg aus dem Beruf fördert.
Worauf würden Sie bei der Wahl eines Heimplatzes achten?
ANDRÉ: Am allerwenigsten auf die Beurteilungsnoten durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, weil dieser fast nur die Führung der 25 bis 30 verschiedenen Dokumentationsbögen beurteilt und nicht die tatsächliche Ausführung der Pflege und den menschlichen Umgang mit den zu pflegenden Bewohnern. Ich würde mich ausschließlich auf die Erfahrungen von Angehörigen verlassen. Wichtig für Angehörige ist auch, dass sie möglichst viel vor Ort sind und ansprechen, was ihnen gefällt oder missfällt. Die Pflegekräfte arbeiten meistens am Limit und sind für Lob sehr dankbar. Beschäftigte, die sich gegenseitig schätzen und unterstützen sind Voraussetzung für ein gut geführtes Heim. Angesichts des Personalschlüssels, auch in „guten“ Heimen, ist dies häufig nur durch unbezahlte Mehrarbeit der engagierten Pflegekräfte möglich.
Ist die Pflege ein gutes Geschäft?
ANDRÈ: In Hochglanzbroschüren, die Beteiligungen an Seniorenanlagen anbieten, wird mit acht Prozent Rendite geworben. Das Risiko wird im Vergleich zu anderen Immobilienbeteiligungen gering eingeschätzt, weil unser Sozialsystem für die Heimkosten eines jeden Bürgers aufkommt. Die demografische Entwicklung wird als Garant für langfristige Gewinne angegeben.
Danke für das Gespräch!