Karben. Nicht alle Fotos im evangelischen Gemeindehaus in Groß-Karben zeigen das, was sie eigentlich zeigen könnten. Überwiegend sind es alltägliche Schnappschüsse, aufgenommen von sechs Fotografinnen und einem Fotografen aus der Ukraine. Sie stellen Momente dar, und zwar vor, während oder nach der Flucht aus dem Kriegsgebiet.
Die meisten Bilder könnten zweifellos auch auf deutschen Smartphones entstanden sein. Und doch offenbaren sie beim genaueren Betrachten Details, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind. Die Titel der kleinen Bilderserie machen neugierig: Familie, Kurzurlaub, Bunker, Traum, Freunde, Unterwegs, Flucht. Neben den Stellwänden liegen Faltheftchen in deutscher und ukrainischer Sprache aus, in denen die Flüchtlinge ihre ganz persönlichen Geschichten erzählen.
Flüchtlingshilfe und evangelischer Gesamtkirchengemeinde Karben ist es gelungen, die Idee einer Fotoausstellung kooperativ umzusetzen. Grußwörter zur Vernissage am Mittwochabend kommen von Ina Lauster-Ulrich (Vorsitzende der Gesamtkirchengemeinde), Werner Giesler (Flüchtlingshilfe), Nataliya Baladina als Hauptansprechpartnerin der Flüchtlinge sowie von Bürgermeister Guido Rahn.
Die Reden sind gekennzeichnet von aktuellen Entwicklungen, freundschaftlichen Gefühlen und Dankbarkeit. Mahnungen vor einer weiteren Ausbreitung des Krieges in Europa und Erinnerungen an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs gehören auch dazu.
Nach dem offiziellen Teil des Abends lädt Werner Giesler zum Anschauen der Bilder ein. »Es ist besonders wichtig, dass man sich dafür ausreichend Zeit nimmt«, empfiehlt der Pfarrer in Rente. Darüber hinaus ermuntert er zu Gesprächen untereinander. Viele Menschen aus der Ukraine seien jetzt dabei, Deutsch zu lernen. In einem Nebenraum des Gemeindezentrums fänden jede Woche Deutschstunden statt.
Schilderungen
in Begleitheften
Das Weglassen erklärender Bildunterschriften bei den Fotos lässt die Betrachtenden in vielen Fällen etwas »hilflos« zurück. Deswegen sind die Schilderungen in den Begleitheften oder persönliche Gespräche mit den Betroffenen oft aussagekräftiger.
Inna Rasiuk traut sich, ihre ausgestellten Momentaufnahmen auf Deutsch zu erklären. Sie habe Deutsch studiert, aber danach nicht mehr angewandt, erzählt die zweifache Mutter aus Kiew. »Selbst, als wir nach Deutschland kamen, habe ich wochenlang nur Englisch gesprochen«, verrät sie.
Inna arbeitet in der Ukraine als Lehrerin und hat zusätzlich eine Ausbildung zur Kosmetikerin gemacht. Nach dem Kriegsausbruch am 24. Februar suchte sie mit ihrer Familie zunächst zehn Tage Schutz im Keller des Wohnhauses. Aus diesem »Bunker« stammt unter anderem ein Foto, auf dem lediglich ein gebackenes Brot zu sehen ist. »Es gab nur noch wenige Lebensmittel in den Geschäften«, berichtet Inna. »Wir teilten unsere Vorräte und backten notdürftig Brot im Keller.« So wurde der Keller zum Abenteuerspielplatz, während in der Nähe die Fassaden der Nachbarhäuser zerbarsten. Auch das hat sie fotografisch dokumentiert. (jüs)
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