Karben. Ein ungewöhnliches Bild zeigte sich am frühen Freitagmorgen auf dem Continental-Werksgelände im Gewerbegebiet. Im strömenden Regen standen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Autozulieferers in einem »Schweige-Spalier« für den Aufsichtsrat, der sich zu einer Sitzung angekündigt hatte.
Aus den Reihen stachen einige Gelbwesten der Gewerkschaft heraus. »Wir bleiben hier«-Rufe waren zu hören. Die Hoffnung der Belegschaft auf einen guten Ausgang, dass die beabsichtigte Schließung des Werkes mit knapp 1100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis Ende 2024 verhindert werden kann, bekam neue Nahrung. Bürgermeister Guido Rahn, der ebenfalls an das Werkstor gekommen war, sprach von einem Zeichen des Aufsichtsrates: »Man will Präsenz zeigen und nicht immer nur in Videokonferenzen agieren.«
Gegen Mittag wurde bekannt, was in der Aufsichtsratssitzung besprochen worden war. Auf Anfrage dieser Zeitung sagte IG-Metall-Vertreter Michael Erhardt, der seit zwölf Jahren als Arbeitnehmervertreter Mitglied des Aufsichtsrats der Continental Automotive GmbH ist, die Arbeitnehmerseite habe dem Aufsichtsrat ihre Zweifel dargelegt, dass die Schließung des Werkes rentabel sei. Man habe dem Aufsichtsratsvorsitzenden Helmut Matschi eine Untersuchung präsentiert, in der diese Zweifel seriös geprüft worden seien. Man müsse die Fähigkeiten des Werkes nutzen, anstatt es zu schließen.
Das Karbener Werk beliefere interne Kunden, darunter das Werk in Babenhausen, das erst jetzt durch einen Tarifabschluss gesichert worden sei. »Das muss Auswirkungen auf das Karbener Werk haben«, sagte Erhardt. An der Aufsichtsratssitzung nahmen von Arbeitnehmerseite auch der Konzernbetriebsratsbetreuer Ralf Schamel und der Betriebsratsvorsitzende des Karbener Werkes, Frank Grommeck, teil.
Gegen Verlegung in Niedriglohnländer
Die Untersuchung sei von »betriebswirtschaftlichen Sachverständigen gemeinsam mit Controlling-Leuten« durchgeführt worden, die sich am Standort mit Beschäftigten unterhalten hätten. Zudem seien Informationen von Konzern-Controllern eingeflossen. Angezweifelt werde, dass die Verlegung in Niedriglohnländer wie Tschechien, Rumänien und Litauen den Konzern letztendlich kostengünstiger komme. Auch unter Berücksichtigung der Steigerung der Lohnkosten sowie der Produktivitätsentwicklung – projiziert auf sechs Jahre. Die Arbeitnehmervertreter argumentieren, die Einmalkosten seien bei einer Schließung deutlich höher als der Dax-Konzern mit Hauptsitz in Hannover annehme. »Die Geschäftsleitung hat unsere Vorlage mitgenommen und zugesagt, sie zu prüfen«, sagte Erhardt und fügte hinzu: Aufsichtsratsvorsitzender Matschi habe sich Zeit genommen, habe mit den Arbeitnehmern gesprochen, der Umgang miteinander sei respektvoll gewesen. Aber man müsse auch wissen: »Die Hängepartie geht weiter.«
Am Freitag teilte ein Sprecher des Unternehmens mit: »Dass unsere Mitarbeiter diese Gelegenheit nutzen, um ihrer Enttäuschung über die Maßnahmen in Karben Ausdruck zu verleihen, können wir voll und ganz nachvollziehen.« »So hart diese Entscheidung auch ist: Der Rückzug aus der Produktion am Standort ist aus unserer Sicht unumgänglich, um die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit von Continental zu sichern. Um diesen Schritt so sozialverträglich wie möglich zu gestalten, stehen wir in Gesprächen mit der Arbeitnehmervertretung.«
Für das Continental-Produktionswerk in Babenhausen war Anfang dieser Woche eine Gnadenfrist vereinbart worden. Nach starken Protesten gegen die zum Jahresende 2025 geplante Schließung einigten sich der Dax-Konzern und die IG Metall auf Eckpunkte eines Sozialtarifvertrags. Demnach soll die Produktion nun erst zum Jahresende 2028 auslaufen. (jsl/ach/dpa)