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Rückfall-Gefahr unterschätzt-Lutz Illhardt berät immer mehr Süchtige in Bad Vilbel und Karben – Cannabis-Problem ist so stark wie Alkohol

Bad Vilbel/Karben. Es war eine ganz zufällige Kontrolle, in die Thomas Müde* (35) vor drei Jahren mit seinem Auto geriet. „Ich wollte nur schnell zu einem Bekannten fahren.“ Auf einer Bundesstraße in der Wetterau stoppt ihn die Polizei. Die Beamten machen routinemäßig einen Drogentest. Ergebnis: Müde hat Kokain geschnupft. Und weg ist sein Führerschein.

Nun sitzt Thomas Müde im Büro von Suchtberater Lutz Illhardt in der Friedberger Straße in Bad Vilbel. Ganz offen erzählt er seine Geschichte, strahlt Selbstsicherheit aus und wirkt dabei fast schon fröhlich. „Ich habe das Risiko billigend in Kauf genommen“, sagt Müde. „Das war blauäugig.“ Lutz Illhardt fällt ihm ins Wort. „Nein, das war fahrlässig.“ Müde zuckt und sagt schnell: „Das stimmt.“ Dass die Fahrt des Wetterauers alles andere als ein Kavaliersdelikt war – diese Erkenntnis erarbeiten die beiden in regelmäßigen Gesprächen seit Jahresanfang. „Die Motive, warum man so etwas macht, kann man sich selbst nicht erarbeiten“, räumt der im Rauschzustand Gefahrene ein. Und was ihn noch mehr beeindruckt: „Die Beratung hat mir aufgezeigt, dass ich die Rückfallgefahr überhaupt nicht beachtet habe.“ Denn: Einmal zu intensiv zum Alkohol gegriffen und schon hätte Thomas Müde jederzeit enthemmt viel leichter der Verlockung der harten Droge wieder erliegen können. „Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht.“

738 Gespräche wie das mit Thomas Müde hat Lutz Illhardt im vergangenen Jahr geführt und 188 Menschen beraten – und damit deutlich mehr als die 628 Gespräche mit 170 Menschen im Jahr zuvor. Verändert hat sich noch mehr: Die Drogenkonsumenten werden jünger, die höchsten Fallzahlen liegen zwischen 20 und 30 Jahre. Und Cannabiskonsum ist inzwischen ein genau so großes Problem wie der Alkoholmissbrauch.

In den vergangenen 18 Jahren, seit Illhardt Drogenberatung und Suchtprävention für beide Städte übernommen hat, „war meistens Alkohol die am stärksten vertretene Droge“.

Dabei gehen beide oft Hand in Hand, weiß der Fachmann. „Unter der Woche wird Cannabis konsumiert, am Wochenende schießt man sich mit Alkohol ab.“ Verharmlosungen, auch Kinder früherer Generationen hätten doch beim Alkohol mal über die Stränge geschlagen, lässt Illhardt nicht gelten. „Statt Bier und Apfelwein werden nur harte Sachen getrunken, denn das Ziel ist, stark betrunken zu sein.“

Wie gefährlich das ist, macht der Suchtberater nicht bloß den bereits als „Klienten“ eingestuften Tätern in den Beratungsgesprächen klar. Mit halber Stelle kümmert sich Illhardt um die Präventionsarbeit, beispielsweise in Schulen und auf Festen. Beim Bad Vilbeler Markt bot er Gästen nachts an, ins Alkohol-Kontrollgerät zu pusten.

Und „sehr wirkungsvoll“ sei auch der Blick durch die Suchtbrille, die die reduzierte Wahrnehmungsfähigkeit nach Alkoholkonsum simuliert.

Früh vor Sucht zu warnen macht Sinn. Denn bei vielen seiner „Klienten“ habe sich die Sucht oft schleichend entwickelt, berichtet der Suchtberater – und die Sucht ist auch kein spezielles Problem einer sozialen Schicht, sondern sie trifft Arme wie Reiche. Ein Beispiel dafür ist Thomas Müde. Er ist in seinem Heimatort gut integriert, hat(te) einen Job. Erstmals kokste er, als er neben dem Studium in einer Kneipe jobbte. „Da haben wir uns abends gemeinsam aufgepeppt.“ Das setzte sich übers Feiern im Studium fort, gemeinsam und unbewusst wurde es mehr. „Auf dem Friedberger Herbstmarkt erwischt man unter tausenden von Menschen ausgerechnet die fünf Gleichgesinnten.“

Bis die Polizeikontrolle Thomas Müdes Suchtkarriere ein Ende bereitete. „Das war ein Weckruf für mich.“ Noch schlimmer: Die Berufskarriere war hin, denn ohne Führerschein verlor er seinen Job. Mühevoll machte sich Müde als Handwerker selbstständig. Nun hilft ihm Lutz Illhardt nicht nur dabei, bis Dezember den Lappen wiederzubekommen, sondern auch, einen Bogen um Drogen zu machen. „Früher dachte ich, dass es reicht zu sagen, ich mache es nie wieder“, sagt Thomas Müde. „Aber ich habe nie nach rechts und links geschaut.“ (den)

* Name von der Redaktion geändert