Seit neun Jahren vermittelt Heinz Ross Praxiswissen im Rahmen der Jungjägerausbildung. 48 Prozent der Jungjäger in seinem Revier sind mittlerweile Frauen.
Nidderau. Immer wieder schweift ihr Blick gen Himmel, wandert über die Weide zum Schilf. Sie sind es gewohnt, die Natur zu beobachten, Entfernungen und Situationen einzuschätzen. Julia Leonteva (33) aus Miltenberg, Daniela Wißner (45) aus Roßdorf, Manuela Senske (40) aus Neuberg-Ravolzhausen und Sabine Mausehund (49) aus Rodenbach erwarben das praktische Wissen für die Jägerprüfung von Jagdpächter Heinz Ross.
Viel Lob haben sie für den 73-Jährigen übrig. Ihre Berufe widersprechen dem Klischee, dass Jäger ein elitärer Kreis sind. „Jeder kann Jäger werden, nicht nur Blaublüter und jagdlich Vorbelastete“, sagen sie. Julia arbeitet als stellvertretende Pflegedirektorin. Daniela ist Bauingenieurin. Manuela ist gelernte Maschinenbauzeichnerin und nun stellvertretende Filialleiterin bei Lidl in Freigericht. Und die einstige Herrenschneiderin Sabine verdient ihre Brötchen als Reinigungskraft.
Während sie sich vorstellen, fliegt eine Nilgans vorbei. Noch bis Ende Februar darf sie bejagt werden. Dieses Mal ist das Tier dem Abschuss entgangen. Im 600 Hektar großen Revier Junkernwald in Nidderau, das Ross gepachtet hat, ist der Herbst eingekehrt. „Die Pacht ist teuer“, sagt der Feldschütz. Es geht um Preise zwischen 2000 und 20 000 Euro jährlich. Auch den landwirtschaftlichen Schaden etwa durch Wildverbiss muss der Jagdpächter ersetzen.
Manuela ist sozusagen erblich vorbelastet. Ihr Großvater und Vater waren Jäger. Bei Julia war es ihr Hund, der sie zur Jagd animierte. Der Labrador legte die Jagdprüfung ab. „Mein Hund konnte alles. Und ich hatte keine Ahnung von der Jagd“, sagt Julia. Sie entschloss sich kurzerhand, Jägerin zu werden und meldete sich an der Jagdschule in Offenbach an. Die Praxis, sagt sie, könne man aus keinem Buch lernen. Hier die Praxis kennenzulernen, dafür ist sie Heinz sehr dankbar, wie sie sagt.
Julia liebt die Natur. Morgens sei der Wald anders als abends, verrät sie. In den Morgenstunden könne man hören, wie die Blätter aufgingen. Dann sei ein leises Knistern zu hören, sagt sie und gerät ins Schwärmen. Julia hat gelernt, genau hinzuhören. Wenn sie am Waldrand ansitzt und Geräusche vernimmt, kann sie unterscheiden, ob diese von Rehwild oder Raubvögeln verursacht werden.
Für Daniela ist der Naturschutzgedanke wichtig. Falsch sei die landläufige Meinung, dass viele Jäger ständig den Finger am Abzug hätten. „Einfach raus gehen und erlegen ist nicht. Der Wald ist kein Supermarkt“, bestätigt Sabine. Laut Ross wird die jährliche Jagdquote für einen Zeitraum von drei Jahren von der Jagdbehörde des Main-Kinzig-Kreises festgelegt und richtet sich nach der Größe des Reviers. Um ein Wildschwein zu erlegen, muss er 60-mal ansitzen. Wildschweine gelten als sehr intelligente Tiere. „Ich habe für einen Rehbock 56-mal angesessen und 1000 Euro Sprit verfahren“, bilanziert Julia und widmet sich den Lehrmodellen für Jungjäger. Ross zeigt zur Altersbestimmung den Unterkiefer eines Rehbocks. Das gehört zum theoretischen Wissen der Jägerprüfung. Die Praxis erfordert viel Geduld und Präzision im richtigen Augenblick.