Andreas Lichert aus Bad Nauheim gilt als Vertrauter des rechtspopulistischen AfD-Politikers Björn Höcke. Lichert betrieb früher in Karben eine politische „Projektwerkstatt“ – und nun hat er gute Chancen, für die AfD in den Bundestag zu kommen. Was dort von ihm zu erwarten wäre, konnte man am Donnerstagabend im Bad Vilbeler Kurhaus erleben.
Bad Vilbel. AfD-Wahlkampf mit lauten Gegendemonstrationen – das gab es bislang in Büdingen und anderen Städten, aber nicht in Bad Vilbel. Am Donnerstag änderte sich das. Binnen zweier Tage organisierten Bürger und Ehrenamtliche den Widerstand, nachdem sie vom geplanten Auftritt mehrerer Kreis-Politiker der rechtskonservativen Partei im Kurhaus erfahren hatten. Knapp 150 junge und ältere Leute machen sich am Abend mit Trillerpfeifen, Transparenten und „Nazis raus“-Rufen vor dem Kurhaus bemerkbar.
„Ich bin überrascht, dass so viele kamen“, sagt Semaan Semaan vom Verein der Bad Vilbeler Flüchtlingshilfe. Mitglieder von SPD, Grünen, Naturfreunden, der Katholischen Jugend und des Freundeskreises der Auschwitzer gehörten zu den Unterstützern der Demo. Und auch viele Bürger.
Ute Petersen etwa ruft: „Mein Opa würde sich im Grab rumdrehen, wenn er wüsste, dass die AfD in seinem Haus auftritt!“ Petersens Opa war Martin Reck, ein Maurerpolier, der 1927 beim Bau des späteren Kurhauses mitwirkte. Die Nazis steckten den Sozialdemokraten später in die Konzentrationslager Buchenwald und Dachau. Die AfD habe kein Gefühl dafür, dass das Kurhaus mit seiner Geschichte nicht zu einem rechtslastigen Wahlkampf tauge, so Petersen.
Während die Demonstranten vor dem Kurhaus ihrer Empörung Luft machten, gehen vereinzelt AfD-Gäste am Polizei-Kleinbus vorbei in den Saal. Manche quittieren die Protestrufe mit ausgestrecktem Mittelfinger, eine Frau macht einen Kratzfuß in Richtung der Demonstranten. Der AfD-Kreistagsabgeordnete Michael Kuger empfängt jeden Gast an der Tür des Kurhauses. Mancher Besucher sei wegen des Lärms wohl weggeblieben, meint er am Rande. Er selbst habe sich an die lauten Proteste gewöhnt. Er finde es aber immer noch schade, dass man keine inhaltliche Diskussion über die Thesen der AfD hinbekomme.
Steile Thesen
Kuger selbst, seine Parteifreundin Doris Daubertshäuser, der Kreisvorsitzende Klaus Herrmann und der im Hochtaunus für den Bundestag kandidierende Andreas Lichert treten im Kurhaus-Saal vor etwa 20 Zuhörern auf. Die Fenster mit Jalousien verschlossen, prangt unter dem kalten Licht der Kronleuchter am Rednerpult das Partei-Logo, in der Ecke ein AfD-Sonnenschirm. Klaus Herrmann, ein pensionierter Kriminalbeamter, liest in der ersten Stunde Auszüge aus dem Parteiprogramm vor.
Es zieht sich, bis Kuger den Stargast ans Pult holen kann: Andreas Lichert. Der 42-Jährige hat bundesweit Aufmerksamkeit erregt, weil er Vorstand des rechten „Instituts für Staatspolitik“ ist und als Verbindungsmann zur „Identitären Bewegung“ gilt.
Semaan Seemaan von der Flüchtlingehilfe meint, Lichert und seine rechtsintellektuellen Freunde präsentierten sich als „nationalkonservative Biedermänner“, propagierten unter Freunden aber eine NS-nahe Rassentheorie. Im Kurhaus spricht Lichert über „drei Billionen Gründe, die CDU nicht zu wählen.“ Seine steile These: Die Rettung Griechenlands, die Flüchtlinge, die Niedrigzinspolitik und die Energiewende kosteten die Bürger nicht Milliarden, sondern Billionen.
Um sie zu untermauern, nennt Lichert Zahlen. Denn Zahlen klingen präzise. Ein muslimischer Asylbewerber koste die deutschen Steuerzahler 450 000 Euro. „Der Deutsche denkt mit dem Portemonnaie“, behauptet Lichert frank und frei. Und achtet darauf, dass jeder Satz vom Publikum gut verstanden wird.
Lichert spricht langsam, ohne Manuskript. Er schaut seine Zuhörer an, betonte die richtigen Silben und macht dazu Gesten. Der Mann mit dem blauen Jackett und dem penibel gestutzten Bart wäre ein prima Dozent für Seminare in fortgeschrittener Rhetorik.
Nach 90 Minuten verfügt Michael Kuger eine Raucherpause. Manche Zuhörer gehen heim, diesmal nicht angebrüllt von Demonstranten. Heimgegangen ist inzwischen auch Godlove, seinen Nachnamen wollte er nicht nennen – ein junger Kameruner, der vor sieben Jahren als Flüchtling nach Bad Vilbel kam und jetzt für die Burgfestspiele arbeitet.
Er hatte mit seinem Feierabendbier vor der Stadtbücherei gestanden und irritiert das Pfeifkonzert der Demonstranten und die Ankunft der AfD-Gäste angeschaut. Nein, von der AfD habe er noch nie gehört, sagte Godlove auf Nachfrage. Mit Politik befasse er sich lieber nicht. „Das ginge bei mir ja gleich an die Existenz“.