Der Flusslauf der Nidda südlich von Klein-Karben soll bereits ab Juni renatu- riert werden. Die Väter des Projekts haben es erstmals öffentlich vorgestellt. Die Vorfahrt für die Natur ruft jedoch auch einige Kritiker auf den Plan.
Karben. „Karben erhält eine ganz tolle Natur an der Nidda zurück.“ Gewässerökologe Gottfried Lehr, der Nidda-Papst, ist ganz euphorisch, wenn er über die Nidda-Renaturierung in Klein-Karben spricht. Ein bisschen wie früher werde der Fluss werden.
Lehr ist an diesem Abend im Ortsbeirat Klein-Karben zu Gast. Eine Hand voll Bürger hört sich seine Erläuterungen an – und die von Hansgeorg Jehner. Der Bad Vilbeler Notar leitet die Frankfurter Gerty-Strohm-Stiftung, die das ehrgeizige Projekt trägt. Zu Kosten mag der Anwalt nichts sagen.
„Wir wollen das zurückbauen, was man früher gemacht hat: die Begradigung“, erklärt Jehner. In ihrem engen Korsett schießt die Nidda seit fünf Jahrzehnten schnurgerade an Ort und Feldern vorbei. Fruchtbares Ackerland war so gewonnen worden. Dass es nun wegfällt, missfällt einigen Bauern.
Alle, die zuhören, betonen: Gegen die Renaturierung habe niemand etwas. Die Planung klingt gut. Zwar könne der Nidda-Altarm nicht genutzt werden, weil sonst die Hochwassergefahr für Klein-Karben steige, erklärt Lehr. Daher soll die Nidda auf knapp einen Kilometer Länge auf der anderen Uferseite in ein neues, mäanderndes Flussbett verlegt werden. 20 Hektar Felder und Wiesen werden zu reinem Weidegrasland.
Natur hat Vorrang
Dort sollen seltene Rinder grasen und bei Hochwasser kann die Nidda das Gebiet überfluten. Damit das möglich ist, wird der Nidda-Damm um einige hundert Meter zurückverlegt. Damit werde der Hochwasserschutz nicht schlechter, unterstreicht Gottfried Lehr. „Der neue Damm wird sogar höher gebaut, weil wir aktuelle Prognosen berücksichtigen, die wegen des Klimawandels größere Starkregenereignisse vorhersagen.“
Der heutige Kanal bleibt zwar erhalten und sein Ufer nach Klein-Karben hin als Hochwasserdamm unverändert. Doch nur noch bei Hochwasser soll die Nidda über eine neue Steinbarriere in den alten Kanal fließen. Sonst werde der Kanal zu einem weiteren Altarm – und biete beispielsweise Fischen neue Laichgründe, erläutert Gottfried Lehr.
Zwischen Kanal und Fluss entsteht dadurch eine Insel. Das gesamte Gebiet sollen sich Pflanzen und Tiere zurückerobern: Kiebitze beispielsweise dürften die Wiesen schätzen, selten gewordene Vogel- und Fischarten sich am und im Fluss ansiedeln. Ohne das künstlich geschaffene Steinkorsett soll sich das Wasser der Nidda ein eigenes Flussbett graben und gestalten können.
Wird der Fluss gestoppt, fragt einer der Zuhörer, wenn er sich einmal bis zum neuen Damm gegraben hat? „Das dauert Jahrhunderte“, sagt Gottfried Lehr.
Doch Ortsbeiratsmitglied Jürgen Dreschel (FW) ist skeptisch: Der Niddaradweg soll auf dem neuen Damm weitab des Flusses verlaufen. „Da wird die Nidda zwischen Klein-Karben und Gronau den Menschen fast komplett entzogen.“ In der Tat sollten die zentralen Bereiche nicht für Menschen zugänglich sein, die Natur dort ungestört bleiben, betont Hansgeorg Jehner. „Mit dem Kanu fahren Sie dort den Tiere quasi durchs Wohnzimmer, das würden Sie zu Hause ja auch nicht wollen.“ Allerdings weiß Jehner: „Wir dürfen die Menschen nicht aussperren.“
Daher seien an beiden Enden der Renaturierungsstrecke Zugänge zum Fluss geplant. „Dort können die Menschen der Natur wie in einem Schaufenster zuschauen.“ So solle ein Nebeneinander entstehen: „Fauna und Flora sollen ebenso Platz haben wie die Menschen.“
Auch bietet Jehner an, auf der Dammkrone neben dem Radweg noch einen Gras-Fußweg anzulegen, wenn die Stadt Karben das wünsche. So könnten Konflikte zwischen flotten Radfahrern und langsamen Spaziergängern entschärft werden
Acht Wochen Arbeiten
Ohnehin schließt Jehners Renaturierung fast nahtlos an die Renaturierung an, die die Stadt im Stadtzentrum plant. Zwischen ASB-Altenheim in Groß-Karben und KSV-Sportplätzen in Klein-Karben soll der Fluss ebenso natürlich umgebaut werden. Dort aber sollen die Karbener den Fluss explizit für die Naherholung nutzen können. Dafür werden Erlebnispunkte geschaffen.
Obwohl die Stadt mit der Planung früher loslegte, ist sie nun später dran. „Innerstädtisch ist das einfach schwieriger als außerorts“, erklärt Stadt-Experte Ekkehart Böing. Erst musste ein Zusatzgutachten beweisen, dass nach dem Renaturieren kein Hochwasser in die Keller der Häuser im Wohngebiet Hessenring schwappt. Aktuell sei die Abstimmung zum Verlegen von Leitungen und Rohren sehr aufwändig, seufzt Bürgermeister Guido Rahn (CDU). Im Winter, hofft Böing, könne die Stadt dann loslegen.
Seine Renaturierung will Jehner dann längst fertig haben. Im Juni sollen die Bagger anrollen und acht Wochen lang 50 000 Kubikmeter Erdreich bewegen. Das sehe erstmal nicht sehr natürlich aus, warnt Planer Lehr. „Wie frisch nach dem Frisör.“ Die Natur aber entwickele sich danach in dem Areal prächtig.
Die Freude darauf kommt bei Hansgeorg Jehner von Herzen. „Ich bin als Junge auf der Nidda Kanu gefahren, in abgeworfenen Flugzeugtanks“, erzählt er. „Ja, ja“, schaltet sich SPD-Urgestein Rainer Züsch ein, „die haben wir aufgeschnitten.“ (den)