Das Jahrhundertprojekt Neue Mitte wird in Gießen juristische Spuren hinterlassen. Denn dort wird vor der 8. Kammer des Verwaltungsgerichtes (VG) mündlich und öffentlich verhandelt (Az.: 8 K 2614/11.GI und 8 K 3461/11.GI). Kontrahenten sind dabei der Bad Vilbeler Magistrat mit Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) an der Spitze und die Stadtverordnetenfraktionen der SPD und der Grünen.
Bad Vilbel. Die politische Opposition von SPD und Grünen soll, darauf läuft die vom Magistrat angestrengte Klage bei der Verhandlung im Raum 103 des Gerichtsgebäudes in der Marburger Straße 104 letztlich hinaus, „Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang mit Grundstücksgeschäften zur Gestaltung der Neuen Mitte in der Innenstadt“ unterlassen.
Zur Erinnerung sei die Vorgeschichte erzählt: Durch die Neue Mitte sollen neue Gastronomiebetriebe und Einkaufsmöglichkeiten geschaffen werden. Dazu wurden Grundstücke der Stadt an die Humanistische Stiftung von Dr. Hansgeorg Jehner verkauft, die den Bau durchführt. Vorgesehen war nach einem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom September 2008, dass der Kaufpreis der Areale zu 50 Prozent bei Inkrafttreten des Bebauungsplanes und zu 50 Prozent bei Erteilung der Baugenehmigung, spätestens in zwei Jahren ab Protokollierung des Kaufvertrages, fällig werden solle.
Einsicht in die Akten
Im November 2009 genehmigte die Stadtverordnetenversammlung die Übertragung der Verpflichtung zum Bau der Bibliotheksbrücke (Mediathek), auf die Humanistische Stiftung. Die Vertretung der Bürgerschaft beschloss, dass die Finanzierung des Baues über den Erlös aus dem Verkauf der städtischen Grundstücke für die Neue Mitte erfolgen solle und die Humanistische Stiftung das Recht erhalte, die Baukosten mit dem Kaufpreis für die Grundstücke der Neuen Mitte zu verrechnen. Der Kaufvertrag wurde unmittelbar danach protokolliert. Im Zusammenhang mit den Projektplanungen kam es dann zu kommunalpolitischen Auseinandersetzungen. Es folgte die Bildung eines Akteneinsichtsausschusses. Diesem Gremium gehörten unter anderem Mitglieder der beklagten Fraktionen von SPD und Grünen an. Im Anschluss verfassten die nun beklagten Fraktionen Stellungnahmen zum Ergebnis der Arbeit des Ausschusses. Sozialdemokraten und Grüne schilderten, dass der Abschluss des Kaufvertrages ohne erkennbare Gründe verzögert worden sei. Außerdem seien Abweichungen von den ursprünglichen Vereinbarungen hinsichtlich der Fälligkeit ergangen. Das habe, interpretierten die Fraktionen, in der Folge zu einem Zinsnachteil für die Stadt Bad Vilbel geführt.
Sabine Dörr, Richterin am Verwaltungsgericht, erklärte Zusammenhänge: „Bürgermeister und Magistrat sind der Ansicht, die Fraktionen hätten mit ihren Stellungnahmen den Vorwurf getätigt, dass die Kaufvertragsparteien vorsätzlich das gesamte Verfahren verzögert hätten. Dadurch werde angedeutet, dass die Kläger sich hinsichtlich der Entscheidungen pflichtwidrig verhalten hätten. Dies seien unwahre Tatsachenbehauptungen, die den Ehrenschutz tangierten und den Ruf der Kläger in der Öffentlichkeit in einer unzulässigen Weise herabsetzten.“
Die beklagten Fraktionen berufen sich, so Richterin Dörr weiter, demgegenüber auf ihre Meinungsfreiheit, da auch politische Meinungsbekundungen unter den Schutzbereich des Artikels 5 Absatz 1 des Grundgesetzes fielen. Kritik an Personen sei davon ebenfalls umfasst und zulässig – selbst wenn sie scharf formuliert und polemisch sei. SPD und Grüne vertreten die Auffassung, sie hätten lediglich wertende Schlüsse aus den im Akteneinsichtsausschuss vorgelegten Akten gezogen – und nicht falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt. (zlp)