Bad Vilbel. Auf ein nun bereits hundertjähriges Bestehen kann die Ortsgruppe der Bad Vilbeler Naturfreunde zurückblicken. Viele verschiedene Veranstaltungen haben in diesem Jahr wie auch in den vergangenen die Vielseitigkeit der Aktivitäten widergespiegelt. Es wurden und werden weiterhin Wanderungen, Fahrradtouren und Pflanzenexkursionen organisiert, es gibt Freizeitangebote für Kinder und Familien.
Auch Kultur und Politik kommen nicht zu kurz – so fand im Juni eine Podiumsdiskussion mit der Wetterauer SPD-Bundestagsabgeordneten Natalie Pawlik zum Thema »Friedensbewegung und Krieg in der Ukraine« statt. Und für den 4. November wird zu einer Lesung und Diskussion mit der Autorin Katja Diehl in die Stadtbibliothek eingeladen. Deren Buch »Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt« sei ein eindrucksvolles Plädoyer für eine inklusive und klimagerechte Verkehrswende dar.
Nicht nur für Naturfreunde offen
Insgesamt verstehen sich die Naturfreunde Deutschlands als ein sozial-ökologischer und gesellschaftspolitisch aktiver Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport und Kultur.
Eine wesentliche Konstante der Vereinsaktivitäten der Bad Vilbeler Naturfreunde ist ihr Naturfreundehaus am Glauberg. Es liegt nur wenige hundert Meter vom Museumsgelände Keltenwelt entfernt. Das etwas abseits gelegene Haus mit großem Außengelände bietet ideale Voraussetzungen für Kinder, die sich hier ungestört austoben können. Aber auch ruhesuchende Naturliebhaber sind im Glauberghaus gut aufgehoben. Es steht nicht nur den Vereinsmitgliedern für Mehrtagesaufenthalte zur Nutzung offen, sondern kann auch von anderen Gruppen oder Privatleuten angemietet werden. Es bietet Platz für Gruppen bis zu 11 Personen.
Wie die Vilbeler zum Glauburghaus kamen
Mitte August fand am Glauberghaus das Jubiläumstreffen der Bad Vilbeler Naturfreunde anlässlich des hundertjährigen Bestehens statt. Einige der Teilnehmer und Teilnehmerinnen trafen sich an vier verschiedenen Standorten und wanderten zum Glauberg, andere schlossen sich einer Fahrradgruppe an, die von Bad Vilbel aus aufbrachen und rechtzeitig zum Programmbeginn um 14 Uhr am Naturfreundehaus eintrafen. Vorsitzender Norbert Nakoinz konnte zudem einige Veteranen begrüßen, die mit dem Auto gekommen waren. Vorsitzender Norbert Nakoinz brachte in Erinnerung, wie und warum die Bad Vilbeler zu ihrer Glauburghütte kamen. Er referierte einige Passagen aus der Chronik »100 Jahre NaturFreunde Bad Vilbel (1922 – 2022)«, die Wolfram Dietz fertiggestellt hat.
Seit Gründung der Vilbeler Ortsgruppe 1922 fuhren Mitglieder regelmäßig mit Rädern oder der Bahn (dem Stockheimer Lieschen) zum Wandern in den Vogelsberg. Schon bald entstand der Wunsch für ihre Ausflüge in den südlichen Vogelsberg einen Anlaufpunkt zu haben, in dem man übernachten konnte. So wurde auf Vermittlung eines Stockheimers 1925 zunächst ein am Westhang des Glaubergs gelegenes Gartenhäuschen und etwas später auch das zugehörige Gelände erworben. Die Naturfreunde bauten das Haus unter anderem mit einer Küche und fließendem Wasser aus und errichteten zudem einen Anbau aus Holz, so dass bis zu 20 Personen Platz zur Übernachtung fanden.
Sieben Jahre später hatten die Naturfreunde schon Vorbereitungen getroffen, das Haus zu erweitern. Aber bereits kurz nach der Reichstagswahl am 5.März 1933, also noch Monate bevor das NS-Regime die Naturfreunde als ein Teil der Arbeiterbewegung verboten, plünderten Mitglieder der Hitlerjugend und des BDM (Bund Deutscher Mädel) das Glauberghaus. Dies bezeichnete im Nachhinein die Oberhessische Tageszeitung als »Säuberung, dieses Schandflecks an den deutschen Sitten« und schlussfolgerte »endlich können die Leute wieder spazieren gehen und keine Angst haben halbnackte Männer und Weiber würden sie belästigen.«
Auf dem Gelände des ehemaligen Naturfreundehauses erstellte dann der Reichsarbeitsdienst eine Baracke, in der die Arbeiter untergebracht waren, die unter Anleitung eines Archäologen die ersten Ausgrabungen auf dem Plateau durchführten, um die dort vorhandenen prähistorischen Anlagen zu untersuchen. Auch entstand ein erstes kleines Museum.
Zwölf Jahre nach der Plünderung des NFH war es dann mit der vermeintlichen Idylle vorbei. Am 2. April 1945 entdeckten heranrückende US-Truppen versprengte Einheiten einer SS-Gebirgsdivision. Statt sich zu ergeben oder die Flucht anzutreten, begannen die SS-Leute zu schießen. Die Amerikaner antworteten mit Artillerie-Beschuss und wenig später lagen 60 Pferde und 13 tote Soldaten auf dem Gelände.
Wiederaufbau und Einweihung 1958
1947 wurde die Vilbeler Ortsgruppe der Naturfreunde neu gegründet und 1955 begann in Selbsthilfe der Wiederaufbau des Glauberghauses, das im Juni 1958 schließlich eingeweiht werden konnte.
Wie Vorsitzender Norbert Nakoinz weiter berichtete, wurde das Haus dann wieder für Freizeiten und Ferienspiele genutzt sowie an Seminargruppen für Tagungen vermietet. Nakoinz erwähnte besonders ein Seminar, bei dem sich die Naturfreunde bereits 1973 mit dem ein Jahr zuvor vom Club of Rome veröffentlichten Bericht »Die Grenzen des Wachstums, zur Lage der Menschheit«, beschäftigten. Es fanden weiterhin verstärkt Seminare zu politischen Themen, Feiern, Planungstreffen und Musikseminare statt.
Modernisiert ohne staatliche Förderung
1981 wurde das Haus grundsaniert und auch in den Folgejahren kontinuierlich modernisiert und »wir waren bemüht, den Hüttencharakter zu bewahren«, kommentierte Nakoinz. Er betonte abschließend, dass die Naturfreunde hierfür »obwohl gemeinnützig«, seit 1999 mit Beginn der Regierung von Ministerpräsident Roland Koch (CDU), keine staatlichen Fördermaßnahmen mehr für den Erhalt oder baulicher Verbesserungen des Hauses bekommen haben.
Das Glauberghaus der Naturfreunde wird nach dem Ende der Lockdowns wieder ähnlich wie Ferienhäuser von Mai bis Oktober an Familien und Gruppen vermietet. (hir)
Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten auf der Internetseite www.naturfreunde-bv.de