Mit einem Glas Sekt begrüßt kamen die Besucher der „Jubiläumsgala“ zum 20-jährigen Bestehen von „Kirche anders“ ins Gemeindezentrum der Christuskirchengemeinde in den Grünen Weg. In den vergangenen Tagen hatten alle Bewohner der Bad Vilbeler Kernstadt eine persönliche Einladungskarte mit Sitzplatznummer erhalten – wenn auch alle mit dem demselben Platz Nummer 7 in Reihe 2!
Bad Vilbel. 200 Stühle wurden im großen Saal der Christuskirchengemeinde gestellt. Alle mit der gleichen Nummer 7, Reihe 2. Trotzdem wurde es gegen 17 Uhr so voll, dass viele weitere Stühle gestellt werden mussten und tatsächlich die letzten keinen Sitzplatz mehr bekommen konnten. Aus den Bad Vilbeler Nachbargemeinden sowie der befreundeten Andreasgemeinde in Niederhöchstadt, die ebenfalls seit 20 Jahren alternative Gottesdienste feiert, Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU), Oberkirchenrat Jens Böhm von der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), der Wetterauer Dekan Volkhard Guth sowie der Geschäftsführer von Willow-Creek Deutschland, Karl-Heinz Zimmer.
Bevor Anja Seybold und Jörg Debé als Moderatoren des Abends das Glas auf 20 Jahre „Kirche anders“ erhoben, wurden die rund 300 Besucher des Geburtstages 20 Jahre zurückversetzt zu den beiden Auftaktveranstaltungen im Februar und März 1996. Ein fünfminütiger Filmzusammenschnitt präsentierte zur großen Freude der heutigen Besucher die Macher von „Kirche anders“ zwei Lebensjahrzehnte jünger. Mit Britta Betz, Anja Seybold, Tobias Utter und Pfarrer Klaus Neumeier sind vier Mitarbeitende des heutigen Leitungsteams seit Beginn an dabei. Utter und Neumeier standen denn auch in drei Fragerunden Rede und Antwort.
Zunächst zu den Anfängen von „Kirche anders“. Tobias Utter, heute Präses der Synode des Evangelischen Dekanats Wetterau, Kirchenvorsteher in der Christuskirchengemeinde und im Hauptberuf Mitglied des Hessischen Landtags, hatte 1995 auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hamburg Bill Hybels als Hauptpastor der amerikanischen Willow-Creek-Gemeinde gehört. Diese amerikanische Großgemeinde richtete sich gezielt auf Menschen ohne kirchlichen und christlichen Hintergrund aus und gestaltete für sie ein äußerlich weltliches Programm, aber dezidiert mit christlichen Inhalten.
Utter und Pfarrer Klaus Neumeier entwickelten so im Herbst 1995 zusammen mit dem ersten Leitungsteam das Konzept der hiesigen „Kirche anders“ und starteten im Frühjahr 1996 mit drei Auftaktveranstaltungen. Utter: „Uns war es von Anfang an wichtig, dass wir die damalige Kerngemeinde mitnehmen, auch wenn wir uns mit dem neuen Programm primär an andere wenden. Eine Polarisierung von Modernen und Traditionalisten wollten wir unbedingt vermeiden.“
Nach mitreißender Musik des Gemeinde-Chores „Gospeltrain“ unter der Leitung von Thorsten Mebus und begleitet von einer gemeindeeigenen Band begann die zweite Fragerunde zu „20 Jahre Kirche anders“. Klaus Neumeier erzählte, wie „Kirche anders“ die ganze Gemeinde verändert hat: „Wenn wir bei ,Kirche anders‘ als Predigende sehr persönlich von unserem Glauben und Leben erzählt haben, dann hat das auch die Gottesdienste am Sonntagvormittag und auch unsere Konfirmandenarbeit oder unsere Freizeiten verändert. Angespornt durch ,Kirche anders‘ ist unsere Verkündigung insgesamt lebensnäher und relevanter für den Alltag geworden.“ Impulse aber haben die Bad Vilbeler auch über die eigene Gemeinde hinaus gesetzt.
Neumeier: „Gerade Tobias Utter und ich sind in unserer Landeskirche vielfältig aktiv und haben diverse Impulse von ,Kirche anders‘ und aus unserer Gemeinde in die EKHN eingebracht, nicht zuletzt im Netzwerk Lust auf Gemeinde.“ Zuvor hatten bereits Anja Seybold und Britta Betz davon erzählt, wie „Kirche anders“ auf mehreren Kirchentagen präsentiert wurde.
Wie aber soll es weiter gehen? Als alte Nörgler kamen Hartmuth Schröder und Werner Betz mit Rollstuhl auf die Bühne des Gemeindesaals und nahmen im Theater ein 50-jähriges „Kirche anders“-Jubiläum im Jahr 2046 vorweg („Weisst du noch, wie knackig der Chor und der Pfarrer beim 20-jährigen Bestehen waren?“).
Eine dritte Fragerunde nahm das Thema auf, und Utter und Neumeier waren sich einig, dass „Kirche anders“ als Form nicht wirklich wichtig sei, es aber darauf ankomme, für jede Zeit und für jede Generation geeignete Formen zu finden, um die Liebe Gottes angemessen verkündigen zu können. Gerade in einer zunehmend säkularen Gesellschaft wünschten sich beide eine ausstrahlende Christenheit, auch wenn sie in einer Minderheitensituation sei.
Der Auftrag aber bleibe, viele mit der Guten Nachricht Gottes zu erreichen. Nach 20 Jahren „Kirche anders“ und damit verbundener intensiver Gemeindearbeit müsse gefragt werden, wie die Generation der heute 30-Jährigen angesprochen werden könne.
Mit Fürbitten und Segen und natürlich erneut mitreißender Musik ging ein besonderes „Kirche anders“ zu Ende. Die meisten blieben noch bei einem weiteren Glas Sekt oder Wein zusammen.