Sie schmachtet, liebt, hasst, wütet, betet, jodelt, kraxelt in Gummistiefeln die Berge hinauf, ist Brandstifterin und reuige Sünderin, Anstifterin zu einem Mordversuch und schließlich Lebensretterin. Mit der Geierwally in der schrägen Version einer nicht ganz jugendfreien Eine-Frau-Show (Anne Simmering) hatte im Burgkeller die nächste Eigenproduktion Premiere.
Bad Vilbel. Schade! Hanserl, der schönste aller Geier, war zwar lange der einzige Trost der auf die Hochalm verbannten Wally und spielte auch sonst eine tragende Rolle, aber zum Finale durfte er nicht mit auf die Bühne, um den verdienten Schlussapplaus zu empfangen.
In dem sonnten sich Schauspielerin Anne Simmering, Musiker Markus Holler, Regisseur Egon Baumgarten, Ausstatterin Franziska Smolarek sowie Regieassistent Alexander Katt und Abendspielleiterin Mascha Pitz.
Für die Festspielsaison des vorigen Sommers hatte das Team den punkigen „Shockheaded Peter“ im Burgkeller inszeniert. Wegen großer Nachfrage erfolgte für diese Spielzeit eine Wiederaufnahme (wir berichteten). Wer daran seinen Spaß hatte, wird auch nun von dem schrägen Alpen-Musical „Die Geierwally“ nicht enttäuscht werden.
Schräge Abenteuer
Ebenso skurril wie der „Peter“ wird auch die Geschichte der Wally erzählt, jedoch mit einer ganz anderen Herangehensweise. Statt mit Puppen zu spielen, schlüpft Anne Simmering auf offener Bühne nach schnellen Kostümwechseln in die verschiedenen Rollen: Als da wären neben Wally ihr despotischer Vater, die lebenslustige Tante Luckart sowie die beiden „Liebhaberanwärter“ Vinzenz und Bärenjosef. Zudem verleiht Simmering noch ihre Stimme der vermeintlichen Nebenbuhlerin Afra sowie dem lieben Gott, der sich allerdings zum Erstaunen Wallys als eine liebe Göttin outete.
„Die Geierwally“ kann als Mythos des deutschsprachigen Heimatfilms und Heimatromans schlechthin angesehen werden. Die Schriftstellerin ließ sich von einer wahren Geschichte zu ihrem 1873 erschienenen Roman inspierieren. Der Stoff wurde mehrfach verfilmt, unter anderem 1988 von Walter Bockmeyer, der die Handlung in einer wilden Filmpersiflage für die Verächter des Heimat-Schmonzes und damaligen „Schwarzwald-Klinik“-Booms ins Kino brachte. An dieser Vorlage orientiert sich nun die Bad Vilbeler Inszenierung.
Schwarzbraun prangen im Burgkeller Haselnüsse auf der Bühnenumrandung und dunkle Wolken ziehen über die Bergkulisse im Hintergrund, als zunächst Musiker Markus Holler als fescher Bub im alpenländischen Gewand die Bühne betritt und hinter dem zwischen Strohballen leicht verdeckten Keyboard Platz nimmt.
Musikalisch eröffnet wird mit Chopins Trauermarsch, denn bevor die eigentliche Handlung rückblickend erzählt wird, trägt die verschleierte Wally ihren an Altersschwäche gestorbenen Hanserl zu Grabe.
Im Dirndl und in Gummistiefeln stellt sich Simmering anschließend zunächst als Moderatorin vor, um dann die einzelne Stationen der Geschichte um die Liebe der eigenwilligen Tochter eines Alpenbauern auch szenisch in immer wieder überraschenden Darstellungen näherzubringen. Elementare Bestandteile sind die Lieder quer durch viele Sparten, die Markus Holler ausgewählt, neu arrangiert und dabei oft mit überraschend neuen Melodien unterlegt hat.
Schnulzen & Frivoles
Das Spektrum reicht von Claire Walldoffs „Was nützt denn dem Mädchen die Liebe“ über Margot Eskens Schnulze „Ein Herz kann man nicht kaufen“ sowie „Die Liebe kommt, die Liebe geht“ (Comedian Harmonists) bis zum „Jäger aus Kurpfalz“ und dem Kirchenlied „So nimm denn meine Hände“. Dazwischen fehlte auch nicht das frivole „Je t’aime“ von Jane Birkin und Serge Gainsbourg.
Nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich ist Geier-Girl Anne Simmering mit mal hohen und mal tiefen Stimmlagen auf das Äußerste gefordert. Doch bravourös meistert sie auch diese Herausforderungen und setzt ihrem großen Geschick für Komik somit die Krone auf.
In der heftig geforderten Zugabe konterkariert sie das Happyend von Wally und dem Bärenjosef mit „I will survive“, jenem Song, in dem Gloria Gaynor einen treulosen Liebhaber vor die Tür setzt.