Vor einem Jahr war ich mit einer Gruppe unserer Gemeinde in Südafrika. Neben vielen Gesprächen haben wir auch Gottesdienste miteinander gefeiert. Keine Frage: Der Gesang ist der Part im Gottesdienst, der mich am meisten beeindruckt: Da singt wirklich der ganze Mensch! Natürlich wird im Stehen gesungen. Natürlich wird mitgeklatscht, sogar mitgetanzt. Natürlich ist es richtig laut – aber trotzdem mehrstimmig und so aufeinander abgestimmt, dass man kaum glauben mag, dass so etwas nicht einmal geprobt werden muss!
Bei uns singen viele Menschen ganz anders: Da bewegt sich nur der Mund, ein wenig zumindest. „Ich kann nicht singen“, sagen dann manche. Irgendwie ist es wohl auch so, dass bei uns Menschen die Töne schwerer treffen als in der Kultur Südafrikas. Aber das ist ja auch kein Wunder: Bei uns haben Menschen auch viel weniger Übung im Singen.
Das ist wirklich schade, denn das Singen ist für den gelebten Glauben an Gott etwas sehr Wichtiges und auch sehr Schönes. Im Singen kann ich Gott gegenüber ganz anderes und oft viel mehr zum Ausdruck bringen als „nur“ mit Worten. Im Gesang kommt mein Gefühl zum Zug. Beim Singen schwingt mehr mit, was bei gesprochenen Worten immer verborgen bleiben muss: Meine Freude, meine Trauer, meine Hoffnung, meine Angst. Beim Singen öffnet sich meine Seele. Bei Liedern für Gott öffnet sich meine Seele zu Gott hin.
„Singen ist die evangelische Form der Frömmigkeit“ habe ich aus kirchenleitendem Mund gehört. Ich weiß nicht, ob Katholiken weniger oder schlechter singen – ich glaube es nicht wirklich. Aber dass wir in unserer evangelischen Tradition einen besonders reichen Musikschatz haben, das ist keine Frage: Da sind die phantastischen Oratorien von Johann Sebastian Bach, da sind die bis heute durch ihre Glaubenstiefe beeindruckenden Lieder von Paul Gerhardt. Da sind aber auch moderne Lieder, die Gott loben und die mit Keyboard und E-Gitarre begleitet werden.
Ob im traditionellen Kirchenchor oder im Gospelchor, ob mit Posaunen, Orgeln oder Bands: Musik ist eine besondere Möglichkeit, meinen Glauben Gott gegenüber zum Ausdruck zu bringen und mich zu Gott hin zu öffnen. In der Evangelischen Kirche wird 2012 als Jahr der Kirchenmusik gefeiert. Mir gefällt das sehr gut, weil es uns auf ganz praktische Weise daran erinnert, dass Glaube mehr ist als Gott mit dem Verstand verstehen zu wollen – das geht sowieso nicht!
In unserer Gemeinde in Bad Vilbel wird im Gottesdienst am Sonntag ein neuer hauptamtlicher Kirchenmusiker eingeführt. Neben den Musical- und Gospelchören und den Bands wird jetzt auf besondere Weise auch die traditionelle Kirchenmusik gestärkt. Das ist gut so. Denn so verschieden wir sind und ob wir laut oder leise singen, afrikanisch oder deutsch, mit Orgel, Posaunen oder Band begleitet singen: Wir dürfen es auf unsere Weise tun – und ich bin mir sehr sicher: Gott freut sich darüber.
Herzliche musikalische Grüße,
Ihr Pfarrer Klaus Neumeier,
Ev. Christuskirchengemeinde
Bad Vilbel