Bad Vilbel. Wenn man heute den Heilsberg besucht, erinnert wenig an die Flucht der Heimatvertriebenen des Zweiten Weltkriegs. Nur ein Schild versieht stoisch seinen Dienst. Doch die Erinnerungen sind durch die Zeitzeugen weiterhin lebendig. Oft haben sie als Kind von den Erfahrungen ihrer Eltern erzählt bekommen, sie waren auf der Flucht schlicht zu jung.
Gleichzeitig gibt es gegenwärtig viele verschiedene Fluchtbewegungen, auch nach Deutschland. So unterschiedlich ihre Gründe und Ziele sein mögen, so haben sie doch nicht nur die durchlebten Strapazen gemeinsam. Die Hoffnung der Flüchtenden ist auch immer, an einem neuen Ort ankommen zu können und sich dort ein neues Leben aufzubauen.
Vor dem Nichts
Wie kann man allerdings an einem Ort ankommen, wenn man zuvor sein eigenes Zuhause hinter sich lassen musste? Diese und weitere schwierige Fragen zum Thema Flucht verarbeiteten die Künstlerinnen des Kunstvereins Bad Vilbel in ihren Werken für die Ausstellung »Ankommen« im Jubiläumstreff 75. Jahre Heilsberg.
Im ehemaligen Heilsberger Edeka versammelten sich zahlreiche Interessierte. Nicht nur zur Besichtigung der Ausstellung, sondern vor allem, um dem Künstlergespräch beizuwohnen.
Nicole Wächtler, die Vorsitzende des Kunstvereins, begrüßte die Anwesenden und verdeutlichte die Wichtigkeit des Themas und wie es Vergangenheit mit Gegenwart verbindet. Ebenfalls bedankte sie sich beim Heilsberger Organisationsteam, das für den Veranstaltungsort und das leibliche Wohl sorgte.
Die Moderatorin des Künstlergesprächs, Helma Steppan, hatte sich zum Thema des Abends das Gemälde »Vor dem Nichts« von Christine Neumann vorgenommen. Es zeigt eine Menschengruppe, die auf einer unbebauten Brachlandschaft zu warten scheint. Besonders markant sind die Gesichter der Abgebildeten, die dem Betrachter Einblicke in ihre Flucht gewähren. Ratlos, trost- und hilfesuchend blicken sie in den Raum und die Besucherinnen und Besucher an.
Auf dem roten Sofa besprach Steppan mit der Künstlerin das gesamte Werk bis ins kleinste Detail. Neumann erzählte, dass sie das Thema »Ankommen« ganz eng gesehen habe. Sie habe zurückgezogen gearbeitet und oft melancholische Musik gebraucht, um die Stimmung im Bild richtig darstellen zu können.
Nach der Vollendung sei sie sehr überrascht gewesen, wie unterschiedlich die Vorstellungen der anderen gewesen seien. Tatsächlich ermöglichten die Ideen zum Thema »Ankommen« in den einzelnen ausgestellten Werken den Besuchern, in gänzlich verschiedene Welten abzutauchen.
Hochemotional
Deutlich wird dies im Vergleich zum Gemälde von Nicole Wächtler. Es ist farbenfroh und Motive wie Vögel finden Verwendung. Wächtler habe mit dem Bild in einer bewegten Zeit inspirieren wollen. Denn ihr ging es nicht um das Ankommen nach der Flucht. Die Künstlerin sah es vielmehr als das Ankommen in sich. Mit ihrer eigenen Fluchtgeschichte in der Familie konnte auch sie ankommen.
Was wie bei Wächtler auch das gesamte Publikum beschäftigte, war der Umgang mit und die Erinnerung an die Erfahrung der Flucht. Viele aus dem Publikum zeigten sich sichtlich ergriffen, einige teilten sogar persönliche Geschichten. Eine Frau erzählte von ihrem Vater, der auf den Heilsberg floh. Ein anderer sah in der eigentlich nicht verwandten Menschengruppe im Gemälde von Christine Neumann seine Familie.
Der Austausch über solch hochemotionale und traumatische Geschichten und Erinnerungen zeigte deutlich, wie durch Kunst Erinnerungen wieder lebendig gemacht und verarbeitet werden können.
Das nächste Künstlergespräch zur Ausstellung findet am 12. November wieder im Jubiläumstreff in der Otto-Fricke-Straße 107 zwischen 16 und 18 Uhr statt. Eingeladen ist die Künstlerin Ingrid Strohkark.
Von Ronaldo Sasso