Bad Vilbel. „Und unser Fräulein Roth lebt wirklich noch?“ Diese erstaunte Frage stellte sich so manche Schülerin und mancher Schüler des Einstufungsjahrgangs 1963 der Stadtschule Bad Vilbel. Kurzerhand und voller Neugier entschloss sich eine kleine Schar „Ehemaliger“, ihre „alte“ Lehrerin Lieselotte Roth im Altkönig-Stift in Kronberg aufzusuchen, um ihr persönlich zum 100. Geburtstag zu gratulieren.
Quietschvergnügt im Sonntagsstaat saß Lehrerin Roth am Kaffeetisch des Seniorenstiftes und erwartete ihre 10 ehemaligen Erstklässler mit lebendigem und erwartungsvollem Blick.
Mobil sei sie leider nicht mehr und zu ihrem großen Bedauern in vielem auf fremde Hilfe angewiesen, aber ihr Kopf, der arbeite immer noch einwandfrei. Und so wusste die alte Dame ihrer verblüfften Zuhörerschaft einiges aus ihrem abwechslungsreichen hundertjährigen Leben zu berichten.
Nach langen Studienjahren in München, Heidelberg und Frankfurt am Main wurde sie je nach Laune der damaligen Regierungen und Kriegswirren an unterschiedlichsten Orten in Deutschland eingesetzt. Mal war sie als Hauslehrerin in der Mark Brandenburg, mal als Lehrerin in südlichen Regionen tätig, und auch vor Arbeitslosigkeit blieb sie nicht verschont. Dann endlich, im Jahr 1955, fand sie einen Ort, der ihr wohl gefiel – Bad Vilbel. Bedingt durch ihre Berufung als Lehrerin hat sie in den Jahren von 1955 bis 1970 zahlreiche Vilbeler Kinder beschulen dürfen, und so ist sie vielen, mittlerweile erwachsenen, Menschen in prägender Erinnerung geblieben.
Auf die Frage eines Besuchers, wo sie denn die wesentlichen Unterschiede zwischen heute und ihrer Ära als Lehrerin sieht, musste sie über eine Antwort nicht lange nachdenken: Damals gab es ausgeglichene Verhältnisse, die Kinder und Eltern waren zugänglich und sie hatte mit niemandem Ärger. „So war´s halt!“
„Während ihre ehemaligen Schüler und Schülerinnen zwischenzeitlich vom Kaffee zur Apfelschorle gewechselt sind, gönnt sich unsere alte Lehrerin mit einem Augenzwinkern ein Gläschen ,Rosé'“, schildert Burkhard Fiebig. Dann erklärt sie ihren Schülern, dass sie seit nunmehr 22 Jahren in dieser Einrichtung wohne. „Ob sie denn etwas vermisse, wollte einer von uns leicht ergrauten ,Fünfzigern’ wissen. Frau Roth dachte ein wenig nach, um danach festzustellen, dass es schon recht einsam und ruhig in ihrem Leben geworden sei“.
Die Verwandten seien schon lange tot und auch die Freunde seien über die Jahre verstorben. Auf ihrem Flur wohne zwar noch eine 102-jährige Frau, aber mit dieser hätte sie eher weniger Kontakt.
Langsam gleitet der Nachmittag im Altkönig-Stift sanft in den Abend hinüber. „Frau Roth hat ihr Glas geleert und bittet, dass eine Pflegerin sie in ihr Zimmer geleiten soll. Wir Gäste formieren uns im Foyer zu einem schnellen Erinnerungsfoto, denn um 18 Uhr wird bereits das Abendessen auf ihr Zimmer serviert“, so Burkhard Fiebig.
Der Abschied verursacht bei allen Beteiligten ein wehmütiges Gefühl. „Auf die Frage, ob sie denn noch einen großen Wunsch in ihrem Leben verspüre, äußerte sie spontan: Wiederkommen, einfach wiederkommen!“ (sam)