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Gemeinsam Geschichte(n) erzählt

Sechs Frauen, drei Generationen, ein Ziel: Heilsberger Geschichte(n) erzählen. Das haben (von links) Leonie, Chiara, Ute Wannig, Ute Volz, Luise und Clara zum Jubiläum ihres Stadtteils erfolgreich umgesetzt. Foto: Jürgen Schenk
Sechs Frauen, drei Generationen, ein Ziel: Heilsberger Geschichte(n) erzählen. Das haben (von links) Leonie, Chiara, Ute Wannig, Ute Volz, Luise und Clara zum Jubiläum ihres Stadtteils erfolgreich umgesetzt. Foto: Jürgen Schenk

Bad Vilbel. Geschichte wirkt immer generationsübergreifend. Erinnerungen von damals und Wahrnehmungen aus heutiger Sicht können parallel gesehen sehr spannend sein. Ein Quartett aus vier Schülerinnen vom Heilsberg hat großen Anteil, dass genau das zum 75-jährigen Bestehen des Heilsbergs funktioniert hat.
»Als ich ein Kind war – 1948 auf dem Heilsberg« versprach schon vor dem Treffen Anekdoten aus der Pionierzeit des Bad Vilbeler Stadtteils. Der große Zulauf an Gästen bestätigte dies. Über 70 Menschen waren am Samstagnachmittag ins Gemeindezentrum der Heilig-Geist-Gemeinde gekommen, um den niedergeschriebenen Memoiren der Zeitzeugin Ute Wannig zu lauschen. Sie war eine der ersten Heimatlosen, die 1948 mit ihrer Familie auf den Heilsberg zog.
Bevor die Jugendliche von damals allerdings zu Wort kam, hatten erst einmal vier Mädchen von heute ihren Auftritt. Clara, Chiara, Luise und Leonie, alle zwischen elf und siebzehn Jahren alt stellten großes Geschichtsinteresse unter Beweis. Projektleiterin Ute Volz vom Organisationsteam 75 Jahre Heilsberg hätte es nicht besser treffen können.
Stück für Stück
herangetastet

»Im Herbst des vergangenen Jahres begann die Recherche der Mädchen. Stück für Stück tasteten sie sich an die Geschichte des Heilsbergs heran«, sagte Volz. »Sie führten Gespräche mit verschiedenen Zeitzeugen und besuchten das Stadtarchiv Bad Vilbel. Daraus entstanden der Jubiläums-Wandkalender für 2023 sowie eine multimediale Stadtteilführung über die Entstehung der Siedlung.«
Das Quartett erzählte von seinen selbst geschriebenen Texten für den Kalender, von alten Fotografien und interessanten Begegnungen. Danach hätten sie aber noch nicht aufhören wollen mit ihrer historischen Recherche. Und so sei es zu der Idee gekommen, Videos von besonderen Orten auf dem Heilsberg zu drehen. Diese kurzen Clips sind gezeigt worden. Zu sehen waren der Freudenberg-Park, die katholische Kirche Verklärung Christi mit ihrem charakteristischen, 42 Meter hohen Glockenturm sowie die 1988 abgebaute und in Altenstadt wiederaufgebaute Siedlerkirche.
Ute Volz ging in einem Video auf die beengten Wohnverhältnisse in den Anfangsjahren ein. Drei kleine Zimmer, Küche und Bad, alle auf einer Etage, mussten für sieben Personen ausreichen. Zu Beginn wurde mit Kohle geheizt, Ölofen gab es erst später. Die Gärten waren nicht eingezäunt. Das dort wachsende Obst und Gemüse sicherte die Grundernährung, war insofern lebenswichtig.
»In den aus Lehm gebauten Häuser wohnten meistens zwei Familien«, erklärte Ute Volz. »1946 wurden die ersten fertiggestellt. In der Straße »Am Hang« kann man noch ein paar dieser Bauten sehen.«
Ute Wannig wohnt in einem solchen Haus. Im Alter von acht Jahren kam sie mit ihren Familienangehörigen und einer Ziege auf den Heilsberg. Ihr Vater kam nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft dazu. Während des Krieges war die Familie in Frankfurt ausgebombt worden und hatte einige Jahre lang in einem Dorf im Westerwald gelebt. In der Siedlung trafen die Wannigs auf Flüchtlinge und Heimatvertriebene – Ostpreußen, Sudetendeutsche, Schlesier, Gutsherren mit Adelstitel und einfache Arbeiter. Aus diesem Sammelsurium von Menschen sollte eine Gemeinschaft werden.
Erinnerungen
an den Fischladen

Wannig erinnert sich gut: »Pfarrer Adolf Freudenberg und seine Frau hatten großen Anteil daran, dass es letztlich funktionierte. Sie machten den Heilsberg bekannt und schmiedeten die Menschen zu einer Gemeinde zusammen.«
Ab 1949 seien die ersten Läden entstanden. Dort habe man Dinge kaufen können, die es vorher lange Zeit nicht gab. Aber natürlich nur, wenn sich die im selben Jahr neu eingeführte D-Mark im Portemonnaie befand. »Unvergessen ist zum Beispiel der Fischladen von Wanda Arndt«, erzählte Ute Wannig. »Meine Mutter hatte auch ein Lädchen, in dem sie unter anderem Schulhefte und Bleistifte verkaufte.« Ihr Vater bildete allein lebende Jugendliche im Schlosserhandwerk aus. Dafür gab es auf dem Heilsberg schon früh eine Lernwerkstatt für Jugendliche der Siedlung. Von Jürgen Schenk