Wetteraukreis. Die Gesellschaft ächzt unter Corona – und auch für die Polizeiarbeit hat sich durch die Pandemie einiges verändert. Jörg Reinemer, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen, blickt im Interview auf 2021 zurück. Die Fragen stellte Jonas Wissner.
Herr Reinemer, wie corona-müde ist die Polizei nach knapp zwei Jahren Pandemie?
Eine gewisse Müdigkeit ist schon da. Ich glaube, das ist auch menschlich und nachvollziehbar. Trotzdem sind wir weiter sehr vorsichtig und tun alles, um gut durch diese Pandemie zu kommen. Wir haben hier vieles ermöglicht, sind beim Homeoffice sehr gut aufgestellt, haben spezielle Hygienekonzepte, beispielsweise bei Einsatzlagen, erstellt. Auch wurde viel unternommen zum Schutz für die Polizistinnen und Polizisten auf Streife.
Wie hoch ist die Impfquote im Präsidium?
Wir sind über 2100 Mitarbeiter, etwa 95 Prozent davon haben die beiden ersten Impfungen bekommen oder sind genesen. Dazu kommen noch welche, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Es bleiben nur wenige Mitarbeiter, die sich nicht oder noch nicht impfen lassen wollen. Seit Anfang Dezember sind wir dabei, allen eine dritte Impfung anzubieten. Inzwischen, also noch vor Heiligabend, haben alle Kolleginnen und Kollegen die Booster-Impfung mit großer Unterstützung durch unseren Pandemiestab und andere Dienststellen ermöglicht bekommen.
Die Polizei unterstützt auch kommunale Ordnungsämter bei Corona-Kontrollen. Inwieweit werden die Auflagen eingehalten?
Wir führen solche gemeinsamen Kontrollen immer wieder durch, auch um zu zeigen, wie wichtig die Vorschriften rund um den Pandemieschutz sind. Mein Eindruck ist: Es kommt immer wieder zu Verstößen, aber mittlerweile tragen fast alle, beispielsweise im ÖPNV, einen Mund-Nase-Schutz. Auch die 2G- und 3G-Regeln werden größtenteils eingehalten. Sorge machen uns die zunehmend aufkommenden Hinweise zu gefälschten Impfpässen. Wir leiten da sofort Strafverfahren ein, verständigen auch das Gesundheitsamt.
Gehen Sie bei Impfpass-Fälschungen von organisierten Strukturen im Wetteraukreis aus?
Schwer zu sagen. Anfang November bekamen wir immer wieder Hinweise, dass auf Social Media und in WhatsApp-Gruppen gefälschte Impfausweise angeboten werden. Das waren die ersten Meldungen, es wurden auch Verfahren eingeleitet, teils außerhalb von Hessen. In den letzten Wochen sind aber viele Fälle im Kreis hinzugekommen, wo Apotheker, weil sie den Blick dafür haben, uns auf möglicherweise gefälschte Pässe hinweisen. Eine wirkliche Serie sehen wir noch nicht, aber wir müssen es weiter beobachten.
Auch im Wetteraukreis gab es zuletzt regelmäßige Versammlungen von Impfgegnern. Wie schätzen Sie das zurzeit ein?
Wir beobachten das sehr genau und wissen, dass das Versammlungsrecht ein hohes Gut ist, das wollen wir auch bewahren. Wenn Corona-Kritiker eine Versammlung anmelden und sich an die Bestimmungen halten, werden wir das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ermöglichen. Werden aber Auflagen wie Abstände oder das Tragen von Mund-Nase-Schutz nicht eingehalten oder sind die Versammlungen nicht angemeldet, dann werden wir unter den gegebenen Voraussetzungen einschreiten.
Inwiefern hat die Polizei bei solchen Versammlungen im Wetteraukreis Verstöße festgestellt?
Aufgrund bundesweiter Aufrufe aus der Szene der Corona-Skeptiker- bzw. Querdenker kam es auch in der Wetterau zu sogenannten Montags- beziehungsweise Grablichterspaziergängen. Etwa 850 Kritiker der Corona-Maßnahmen versammelten sich am vorletzten Montag in der Wetterau. In Bad Vilbel wurde eine Frau wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz kontrolliert. Weil sie sich weigerte, ihre Personalien anzugeben, wurde sie vorläufig festgenommen. Sie wirkte als mutmaßliche Verantwortliche einer nicht angemeldeten Versammlung auf die Teilnehmenden ein. Insgesamt stellten die Einsatzkräfte in Bad Vilbel fest, dass sich mehrere Teilnehmer völlig unkooperativ verhielten. Bereits am 20. Dezember kam es im Zuge einer solchen Ansammlung zu einem Widerstand einer 45-Jährigen.
Unter anderem in Sachsen ist zu beobachten, dass Politiker im Kontext der Corona-Politik massiv bedroht werden, beim Messenger-Dienst Telegram kommt es zu Mordaufrufen. Gibt es solche Beispiele auch bei uns?
Wir sind da auf der Hut. Es ist wichtig, dass wir da nichts aufkommen lassen und massiv dagegen vorgehen. Wir nehmen bereits unterschwellige Bedrohungen, gerade in den sozialen Medien, sehr ernst und leiten Maßnahmen ein. Leider kommt es immer wieder zu Bedrohungen und Beleidigungen.
Inwieweit hat die Polizei etwa Telegram-Gruppen, in denen Hetze betrieben wird, im Blick?
Das ist natürlich schwierig, aber auch dort sind wir so aufgestellt, dass wir Maßnahmen treffen, die uns gesetzmäßig zustehen. Man kann darüber diskutieren, ob wir dort mehr rechtliche Möglichkeiten bräuchten. Aber es ist nicht mein Job, das zu bewerten.
Ein Thema, das durch die Umstände der Pandemie mehr in den Fokus gerät, ist Gewalt in Partnerschaften. Schon 2020 wurde ein Anstieg vermutet, der auf Bundesebene auch in Zahlen belegt ist. Wie sieht es bezogen auf den Wetteraukreis aus?
Wir hatten schon eine Häufung in den Vorjahren, bevor die Pandemie begann. 2018 waren es im Kreis noch 290 gemeldete Fälle, 2019 schon fast 400. 2020 gab es eine Steigerung auf fast 423 Fälle. 2021 sind wir, Stand heute, bei etwas weniger Fällen. Es ist aber zu befürchten, dass es ähnlich viele wie im letzten Jahr gab. Das ist schon sehr besorgniserregend.
Welche Gründe sehen Sie für diese Häufung?
Das hat natürlich auch etwas mit Auswirkungen der Pandemie zu tun: Leute sind mehr zu Hause geblieben, es gab wohl mehr Auseinandersetzungen. Opfer sind in fast allen Fällen Frauen, sie tragen das Leid und sind oft schutzlos der Gewalt ausgesetzt. Die Dunkelziffer dürfte noch einmal höher sein.
… weil Frauen oft keine Anzeige erstatten?
Es gibt leider zu häufig Fälle, wo wir Gewalt in Familien gemeldet bekommen – und wenn die Polizei da ist, wird keine Anzeige erstattet. Natürlich leiten wir Schritte ein, aber die Furcht, die Scham ist oft sehr groß und hält leider viele Opfer davon ab, Anzeige zu erstatten, gegen den Mann oder Lebenspartner auszusagen. Deswegen ist für uns immer wichtig, dass die Nachbarschaft, Schule, Verwandte oder Bekannte so etwas der Polizei melden. Das ist kein Denunzieren, sondern es ist wichtig, dass Menschen von Gewalt erlöst werden.