Veröffentlicht am

Fado ist „eine Art zu fühlen“ – Sängerin Misia nach Auftritten in Spanien, Israel, dem Libanon und in Frankreich auch in Vilbeler Burg gefeiert

Bad Vilbel. Mit stehenden Ovationen und frenetischem Beifall wurden am Mittwochabend die Sängerin Misia und ihre fünf Instrumentalbegleiter von der Bühne der Burgfestspiele verabschiedet. Davor belegten bereits immer wieder laute Bravo-Rufe und Szenenapplaus sowie ein ausverkauftes Haus, dass ein Experiment der Freilichtspiele sich als erfolgreich erwiesen hat: Zum ersten Mal fand im historischen Gemäuer ein Fado-Konzert statt, womit die Spannbreite des Festspielprogramms um ein weiteres Genre erweitert wurde.

Mit Misia hat gleichzeitig ein Weltstar seine Visitenkarte in der Quellenstadt abgegeben, denn weltweit gilt Misia als die Königin des Fados. Fado ist jene portugiesische Musik, die melancholisch von der Lust zu leben und zu lieben erzählt und Misia ist die Künstlerin, die Fado vor dem Vergessen bewahrte, indem sie ihn erneuert hat.

Misia hatte in diesem Sommer Auftritte in Madrid, Barcelona, Cordoba, Jerez de la Frontera, sang dazwischen bei Festivals in Israel und im Libanon, zuletzt war sie live zu hören beim „Festival Inter Celtique“ im französischen Lorient (Bretagne) und nun eben zum Abschluss ihrer Tournee bei den Burgfestspielen in Bad Vilbel.

Mit ihrer „rau-sehnsüchtigen“ Stimme zeigte Misia nicht nur die Verbindung zur klassischen Musik auf, sondern auch zu Jazz und Rock. Neben den klassischen Gitarren hat sie Geige, Akkordeon und Klavier in ihren Arrangements aufgenommen, wobei in Bad Vilbel das Akkordeon und das Klavier durch eine E-Gitarre ersetzt wurde, was zunächst sehr gewöhnungsbedürftig war.

Misias Programm orientierte sich an den Titeln ihrer neuen Doppel-CD „Ruas“, was auf Deutsch „Straßen“ heißt. Im ersten Teil sang sie vom Leben in den Straßen von Lissabon, um dann in die Welt zu entführen nach Japan, Neapel und in die Türkei. Die Musikstile aus diesen Ländern unterscheiden sich sehr wohl vom Fado, aber sie bringen in starker Weise Gefühle zum Ausdruck und sind somit für Misia mit dem Fado vergleichbar.

Dem Fado hängt der Ruch an, dass er sehnsuchtsvoll und todtraurig sei, aber „Fado is not sad, Fado is to feel“ (Fado ist nicht traurig, Fado ist Gefühl), brachte sie es in Bad Vilbel auf den Punkt. Sie verdeutlichte es mit einem Lied, in dem sich eine Frau von den Kapverden an ihre verlorene Heimat erinnert. Obwohl sehr wehmütig und sehnsuchtsvoll, klingt es alles andere als todtraurig oder gar depressiv. Vielmehr scheint die Freude durch, dieser Erinnerung noch träumerisch nachhängen zu können.

„Fado is Saudade“, sagt Misia bestimmt. Mit dem Begriff „Saudade“ wird eine sehr spezifische portugiesische und galizische Form des Weltschmerzes bezeichnet, der nur annähernd mit Traurigkeit, Wehmut, Sehnsucht oder sanfte Melancholie übersetzt werden kann. Vergleiche drängen sich auf mit dem amerikanischen Wort „blue“ oder dem türkischen „hüzün“, die ebenfalls von vielschichtiger Bedeutung sind. Misias Verständnis von Fado hat sie einmal mit folgender Überzeugung auf den Punkt gebracht: „Saudade ist nicht nur die Beschwörung vergangener Erfahrungen; sie ist auch die Gegenwart jener Ereignisse, die so stark gelebt haben, dass sie gar nicht sterben können.“

Und dazu gehören eben nicht nur Weltschmerz und Sehnsucht, sondern auch humoristische Fado-Stücke. So kannte Misia auch keine Scheu und ließ ihre Musiker eine „Marcha“, sozusagen das Gegenteil von Fado, spielen. Marchas werden bei traditionellen Stadtteilparaden in Lissabon gespielt – „ein klein wenig vergleichbar mit dem deutschen Karneval“, erläuterte Misia zuvor.

So brachten Misia und ihre Band in der Burg eindrucksvoll mit ihrer Kunst Glück und Leidenschaften, Sehnen und Trauer zum Ausdruck und sie propagierten auch einen Fado, der fröhlich und beschwingt sein darf. Fado ist für Misia eine „Art zu fühlen“, nicht einfach nur Musik, sondern „ein Geisteszustand“, wie sie es einmal in einem Interview konkretisierte. Die Fans lieben sie deshalb und so war im Anschluss an das Konzert der CD-Verkäufer mit seinen nicht ganz hundert Misia-CDs ausverkauft und die Sängerin erfüllte noch gerne Autogrammwünsche.