Bad Vilbel. Nach vierjährigem Einsatz von Volker Hartung, dem Vater der Erbsenlesungen, nahm Doris Illian 2001 die Fäden in die Hand und schuf seither ein imposantes Lese-Reich der Bücher und Autoren. Die Vielfalt erhob sie zum Programm. Größen der deutschen Gegenwartsliteratur, wie der Büchnerpreisträger Reinhard Jirgl, Martin Mosebach, Hellmuth Karasek oder Richard Wagner zieren diese Lesereihe, aber auch Nachwuchstalente, Biographen, Politiker oder Sachbuchautoren blätterten hier in ihren Büchern. Am Anfang aber war das Wort aus dem Munde eines anderen Frankfurter Dichter-Humoristen: Robert Gernhardt trug am 22. Oktober 1997 im Kurhaus bei der allerersten Lesung „lichte Gedichte“ vor. Und so schloss sich mit Quast und seinem Jubiläumsprogramm „Stoltze für alle“ der humoristische Kreis – „ein Höhepunkt der Lesungen“, befand Rüdiger Wiechers, CDU-Stadtrat und lange Zeit als Geschäftsführer der Allianz Dresdner Bauspar AG Förderer und Geldgeber für die Erbsenlesungen, deren gegenwärtiger Hauptsponsor das Pharmaunternehmen Engelhardt aus Niederdorfelden ist.
Der einzige Wermutstropfen im weitläufigen Erbsenlese-Panorama verbindet sich mit der Nobelpreisträgerin für Literatur 2009, Herta Müller, deren Plakat gedruckt ist, nur die Lesung am 20. Januar 2004 fiel wegen Erkrankung der Autorin aus. Das bedauert Doris Illian an diesem Abend vor den ausgestellten Plakaten, aber viel Zeit dazu hat sie nicht, muss sie doch gleich den Jubiläumsabend eröffnen.
Sie tut es kurz und bündig, ohne viel große Worte, bedankt sich bei Sponsoren, der Stadt, den Mitstreitern vom Kunstverein, nicht zuletzt bei der Presse, bevor sie Bürgermeister Thomas Stöhr für sein Grußwort ans Rednerpult bittet. Stöhr feiert die Erbsenlesungen als „ein einzigartiges Kulturprojekt und nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil der Bad Vilbeler Kulturszene“ und dankt Illian mit einem „Scheck zur Kostenabfederung“ für ihr Engagement und den langen Atem. Dann hat Dennis Di Rienzo als städtischer Kulturbeauftragter das Wort. Der verkappte Futurologe vom Schlechtwetterdienst (in zehn Jahren sind die Bücher abgeschafft) sieht nur noch „Facebook“ als Endlösung.
Dann ist es so weit: Michael Quast tritt an. Mit Reimfabrikaten aus der Verseschmiede des großen Frankfurter Heimat- und Mundartdichters Friedrich Stoltze (1816-1891) sorgt er für Furore. „Dreissig Gulde“, „Die Blutblas“, „Verrzeh Döchter“ sind nur der Auftakt zum Gaudi der „Berjer und Berjerinnen“ im Saal. Quast liest sich mit Texten aus der Zeitschrift „Frankfurter Latern“ in Trance. „Es werde Licht“ ruft er (Es ist das Vaterland so reich an Unverstand gesegnet, dass es die Narre regnet). Und es kommt Schlag auf Schlag, strapaziert die Lachmuskulatur: „Der Absagebrief“, „Die Kapp“, „Klagelied einer Bank“, dann singt Quast plötzlich nach der Melodie wie Friedrich Schillers „An die Freude“ eine „Börsenhymne“ und lässt den „Chor der Makler“ los (Mammon heißt die starke Feder in der ewigen Natur), nimmt sich Bismarck aufs Korn. Quast gibt Butter bei die Fisch – er liest, grimassiert und gestikuliert und läuft zur Hochform auf, trotz der im Grunderecht flachen Stoltze-Verse etwa nach dem Muster: Wer rennt so spät durch Nacht un Wind? Es is der Stoltze, e Frankforter Kind. Hinner ihm sind die Offenbacher her, doch es laaft grad so als ob’s dr Deiwl wär!
Und das Publikum biegt sich vor Lachen. Der Beifall will schier nicht enden. Noch einmal züngeln dann mit den Zugaben die Flammen des Humors hoch, bevor Doris Illian dem Großmeister Quast ein Glas Vilbeler Erbsensuppe andreht und eine Sektflasche in die Hände drückt. Dann aber ist sie wieder selber dran, wird umarmt und bekommt von der Vorsitzenden des Kunstvereins, Cornelia Weinheimer, einen riesigen Blumenstrauß an die Brust gedrückt. So findet ein tränenfeuchtfröhlicher Abend ein verdientes unverblümtes Ende.