Im Alten Testament gibt es eine bekannte Geschichte, die uns auf die Spur jener Schöpferkraft führt, der wir uns alle verdanken. Zwei Frauen streiten um ein Kind. Vor dem König Salomo beanspruchen es beide für sich. Was soll der König tun? Woran erkennt er, wer die rechtmäßige Mutter ist? Noch dazu in einer Zeit ohne DNA-Test? Der König baut auf die Kraft der Liebe und fällt sein sprichwörtlich gewordenes salomonisches Urteil. Er befiehlt seinen Dienern, ein Schwert herbeizuholen, um das lebendige Kind in zwei Teile zertrennen zu lassen, um es „gerecht“ aufzuteilen.
Während die eine Frau selbst jetzt noch auf ihr Recht pocht und einverstanden ist, reagiert die wahre Mutter ganz anders. Sie verzichtet auf ihr Kind, damit es nur lebe! Es heißt: „Ihr mütterliches Herz entbrannte in Liebe für ihren Sohn.“ (1. Könige 3,26) Diese Geschichte zeigt: Das liebende Herz nimmt sich selbst freiwillig zurück, damit das Kind leben kann.
Freiwillige Selbstzurücknahme ist das Kennzeichen der Liebe. Wir können lieben, da wir selbst von klein auf die Erfahrung gemacht haben, geliebt zu werden: von Eltern und Großeltern, den Geschwistern, von Freunden, von den Menschen, die uns in ihr Herz geschlossen haben. Wer liebt, der nimmt sich selbst freiwillig zurück und räumt dem Geliebten Zeiten und Räume im eigenen Leben ein, die nur ihm/ihr gehören.
Gott hat uns Menschen ins Herz geschlossen, Dich und mich. Das hat er uns durch seinen Sohn Jesus gezeigt. Er nimmt sich selbst zurück, bis zum Tod am Kreuz, damit wir leben können. Durch Jesus haben wir einen ewigen Platz im Leben Gottes, heute schon. Das diesjährige Ernte-Dankfest bietet eine wunderbare Gelegenheit, all jenen einmal bewusst „Danke“ zu sagen, die sich um meinetwillen freiwillig selbst zurückgenommen haben. Die mir, damit ich mich entwickeln konnte, Zeit und Raum in ihrem Leben eingeräumt haben. Aber nicht nur im Kreise meiner Liebsten, sondern auch mit Blick auf unser Gemeinwohl: der freiwilligen Feuerwehr zum Beispiel, den vielen Ehrenamtlichen in den Parteien, wohltätigen Organisationen und so weiter. Warum all diesen Menschen nicht auch einmal bewusst „Danke“ sagen für ihren uneigennützigen Dienst? Und Gott! Seine freiwillige Selbstzurücknahme eröffnet uns Lebensraum. Gott sei Dank!
Ein gesegnetes Erntedankfest
wünscht herzlich, Ihr Pfarrer
Johannes Misterek
Ev. Kirchengem. Massenheim