Um 17 Uhr, dem Zeitpunkt, als am 10. November 1938, vor 73 Jahren, die Nazi-Hetzjagd auf jüdische Mitbürger in Vilbel begann, gedachte man gestern vor dem Alten Rathaus der Ereignisse. Erinnerung sei ein Aufruf zur Verantwortung, hieß es.
Bad Vilbel. Er war „hier in Bad Vilbel, in der Frankfurter Straße und vor dem Alten Rathaus“, erinnert sich Rafael Zur, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Bad Vilbel. „Gegen 17 Uhr organisierten sich vier Gruppen von Lumpen und Barbaren, um die Jüdinnen und Juden von Bad Vilbel zu berauben, zu schlagen und verjagen.“
Um Deutschland vor dem Bankrott zu retten, habe man die Juden beraubt. Es sei zu „Gewaltakten auf der ganzen Länge der Frankfurter Straße“ gekommen – und „die Mehrheit der Vilbeler Bürger stand dem Geschehen positiv gegenüber“, so Zur. Als am späten Abend endlich Ruhe eingekehrt sei, „ist in der 4000-Seelen-Gemeinde nichts mehr, wie es einmal war“.
„Es waren und sind Nachbarn, Kollegen und Freunde“, gewesen, betont Bürgermeister Dr. Thomas Stöhr (CDU) in seiner Rede. Sie „nicht mehr als Teil der örtlichen Gemeinschaft zu achten“, sei ein erster Schritt auf einem fatalen Weg gewesen. So stehe der Gedenkstein vor dem Alten Rathaus auch „als Erinnerung für die gesamte Bürgerschaft“. Stöhr dankte der jüdischen Gemeinde für die konstruktive Zusammenarbeit und zitierte die Bildhauerin Saskia Ruths. Zwischen den beiden Gedenksteinen gebe es einen trennenden Spalt, aber auch ein formales Aufeinandereingehen. Das gebe, so Ruths, der Hoffnung Ausdruck, „dass die Nachfolgegenerationen aus vergangenem Leid lernen und die Individualität der jeweiligen Anderen respektieren und als Chance betrachten“. Solche Gedenktage seien mehr als „leere Erinnerungsrituale“, ging Vered Zur-Panzer, Kulturdezernentin der jüdischen Gemeinde, auf verbreitete Kritik ein. Dabei solle nicht nur an die Ermordeten, sondern auch an „das Licht ihres Lebens“ gedacht werden, welche Hoffnungen, Träume, Sehnsüchte zerstört wurden. Rituale seien langlebig und lebendig, „denn was wir aus der Vergangenheit wissen, stärkt uns in der Verantwortung für die Zukunft“. Auch an den Schulen gäben sie pädagogische Inspiration. Schließlich seien sie ein „Impuls zum Innehalten und Nachdenken“. Dazu gab es vor dem Auftritt des Chors „Shalom Singers“ inmitten des Verkehrslärms der Frankfurter Straße eine Schweigeminute.