Karben. Die Solidarität ist groß: Knapp 1000 Menschen haben am vergangenen Donnerstagmittag gegen die beabsichtigte Schließung des Karbener Conti-Werkes protestiert. Zwischen dem Werkseingang und dem Rathaus bildete sich eine 1,7 Kilometer lange Menschenkette, in die sich auch viele Beschäftigte anderer Firmen einreihten.
Es ist kurz nach halb zwölf: Vor dem Werkstor stehen ein Wagen der IG Metall und ein Auto der Stadtpolizei. Gewerkschaftsfunktionäre und Polizisten besprechen letzte Details. Auch die ersten Beschäftigten mit roten Kappen und Fähnchen sind früh erschienen. IG Metall und der Betriebsrat des Conti Automotive Werkes hatten für 12 Uhr zu einer ersten größeren Aktion gegen die angekündigte Schließung des Werkes aufgerufen. Fast 1100 Arbeitnehmer aus der Region wären betroffen.
Nur einige Hundert Meter weiter steht ein zweites Auto der Stadtpolizei, und zwar vor dem Werk der ebenfalls zum Conti-Konzern gehörenden TechnoChemie, denn dort haben die Mitarbeiter ihre Solidarität mit den von der Schließung betroffenen Kollegen bekundet und wollen gleichfalls teilnehmen.
Kurz vor zwölf sperrt die Polizei große Teile der Dieselstraße für den Autoverkehr. Dann geht es ganz schnell: Die Beschäftigten der Frühschicht und auch diejenigen, die zur Mittagsschicht kommen, holen sich ein 1,5 Meter langes rot-weißes Absperrband ab. Und dann reihen sie sich, coronakonform mit Mundschutz und Abstand, zu einer knapp 1,7 Kilometer langen Menschenkette aneinander.
Viele Beschäftigte älter als 50 Jahre
In der Reihe stehen auffällig viele Beschäftigte, die nicht mehr ganz jung sind. So etwa Canan Toni. Die 51-Jährige arbeitet im Automotive-Werk in der Kleinserienfertigung. »Wir haben viele ältere Kollegen, das Durchschnittsalter beträgt 47/48 Jahre.« Toni arbeitet seit 33 Jahren bei Conti, hat 1987 bei VDO im Frankfurter Stadtteil Bockenheim begonnen. Die Mitarbeiterin befürchtet, »dass ich bis zur Rente zur Sozialhilfeempfängerin werde«. Nach eigenen Angaben hat sie zwar wegen der Corona-Krise mit einem Jobabbau gerechnet. »Aber niemals habe ich mit der Schließung dieses Werkes gerechnet.« Sie sei völlig schockiert.
Rund 100 Meter weiter steht Ria Ciaccio mit ihren Kolleginnen in der Schlange am Fahrbahnrand. »Ich bin seit über 30 Jahren in der Fertigung beschäftigt. So etwas habe ich noch nicht erlebt.« Angefangen habe sie bei Max Kammerer in Oberursel, eine Firma, die später zu Conti kam. Heute arbeitet sie in der Produktion von Steuerungselementen für Autoklimaanlagen, wie sie sagt. »Die Schließung unseres Werkes habe ich niemals erwartet«, zeigt sie sich völlig überrascht. Auch sie sei »jetzt sehr wütend«, sagt die 51-Jährige.
Wütend, das sind viele, die an dieser Demonstration teilnehmen. Sie blasen nach Kräften in ihre Trillerpfeifen und drehen die Ratschen. »Was machen wir: Wir bleiben hier«, skandieren sie mehrmals lautstark.
Mittlerweile hat die Kette die Kreuzung vor dem Rathaus erreicht. »Wir wollen jetzt den Bürgermeister abholen und ihn mit zur Kundgebung nehmen«, ruft ein Gewerkschaftsfunktionär ins Megafon.
Doch vor dem Rathaus wartet nicht nur Bürgermeister Guido Rahn (CDU), sondern auch Erster Stadtrat Friedrich Schwaab (CDU), Stadtrat Mario Schäfer (Grüne) sowie Mitglieder aller Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung, bis auf die Freien Wähler. Ebenfalls nach Karben gekommen ist Landrat Jan Weckler (CDU). Mitglieder der SPD-Landtagsfraktion sind anwesend.
Gemeinsam geht es zurück zum Werkstor, wo eine Kundgebung stattfindet. Der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Frankfurt, Michael Erhardt, zeigt sich überrascht über die parteiübergreifende Solidarität. »Und dass eine Stadt zur Teilnahme an der Demo aufruft, habe ich noch nie erlebt.« Der Landrat spricht von einer »bunten Region, verkehrsgünstig gelegen, in der sich viele Unternehmen ansiedeln wollen.« Er verweist, wie später weitere Redner, darauf, dass es um die Menschen in Karben und der Region gehe. Conti sei einer der größten Arbeitgeber.
Rahn kritisiert Politik des Conti-Konzerns
Rahn ruft ins Mikrofon, »die ganze Stadt steht hinter Ihnen«. Er verstehe die Politik des Konzerns nicht: »Erst sagt man Ihnen, Sie seien ganz toll und eines der besten Werke, dann machen wir euch dicht.«
Landtagsabgeordnete von CDU, SPD und Grünen sind gleichfalls nach Karben gekommen. Die hessische Linken-Chefin Janine Wissler weist darauf hin, dass gerade die Arbeitnehmer die Gewinne der vergangenen Jahre erarbeitet hätten. Sie wünscht denjenigen, die gegen die Werksschließung protestieren, »einen langen Atem«. Sie selbst hat auf ihrem Mund-Nasen-Schutz der IG Metall schon mal eine Parole aufgedruckt: »Zukunft oder Widerstand«. Davon dürfte man die nächste Zeit noch hören. Die Gewerkschaften haben weitere Aktionen angekündigt.