Bad Vilbel. Politikunterricht aus erster Hand bot Hessens Justizminister und Vize-Ministerpräsident Jörg-Uwe Hahn einer Klasse des Georg-Büchner-Gymnasiums. Die Schüler waren vor allem an den Themen Sicherungsverwahrung und Jugendkriminalität interessiert. Pünktlich um 8 Uhr trat Hahn seinen Dienst vor einer zwölften Powi-Klasse (Politik und Wirtschaft) an. „Wie sieht eigentlich der Arbeitstag eines Ministers aus?“, wollte Christoph Brandt wissen. Hahn meinte, dieser sei kein ganz typischer Tag für ihn: 6.30 Uhr Gang zum Bäcker, dann Zeitungslektüre und auf Druck seines Steuerberaters die Abgabe der Steuererklärung für 2008.
Um 7.45 Uhr steht der Chauffeur in Dortelweil vor der Haustür. Nachmittags Gespräche mit der Kultusministerin, einer Stellenbewerberin, dann mit seinen zwei Staatssekretären zum Thema Geld sparen. Um 16.30 Uhr startet der Flieger nach Brüssel, wo Hahn als Europaminister einmal im Monat auftaucht. Dabei räumt er ein: „Das ist mit Familie nur bedingt vereinbar, deshalb lebe ich auch getrennt.“
Zwar war der Dialog mit den Schülern oft eher ein Monolog des Gastes, doch der gab sich betont salopp und offen. „Als stellvertretender Ministerpräsident kann ich überall dazwischenfunken“, gab er zu. Und ergänzte, wegen eines Todesfalls im Schwalmstädter Gefängnis halte er sich permanent durch Telefonate und SMS auf dem Laufenden.
Hahn erläuterte, dass man aus den Fehlern des Koch’schen Wahlkampfs von 2008 gelernt habe, wo dieser schnelle Urteile gegen kriminelle Jugendliche angekündigt habe, ohne dass es genug Arrestplätze und Richter gegeben habe. Eine Schülerin wandte ein, den zehn neuen Stellen dort stünden 40 neue Richter beim Verwaltungsgericht entgegen.
Besonders am Herzen lag Hahn seine Rolle als erster hessischer Minister, der auch für Integration zuständig ist: „Das ist das Zukunftsthema.“ Da gelte es zunächst, sich von alten Denkmustern zu befreien: „Deutschland – kein Einwanderungsland“, „Multikulti“ und auch die „deutsche Leitkultur“ – das alles gehöre „in den Mülleimer der Geschichte“. Die einzige Richtschnur sei das Grundgesetz mit der Aussage „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Wesentliche Bedingung dafür, dass Integration gelinge, sei es, so früh wie möglich Deutsch zu lernen – und „Bildung, Bildung, Bildung“.
Hahn verteidigte gegenüber den skeptischen Büchner-Gymnasiasten die Initiative für einen Islamunterricht an den Schulen, es gelte „gleiches Recht für alle“. Aber er legte auch den Finger in eine tiefe Wunde. 300 000 der knapp 600 000 in Hessen lebenden Ausländer seien Türken, doch gerade dort gebe es massive Probleme bei der Bildung. Während es in der türkischen Gemeinschaft in den alten Bundesländern immer weniger höhere Schulabschlüsse gebe, könne die vietnamesische Gemeinschaft in den neuen Bundesländern die mit Abstand größte Abiturquote vorweisen.
Was Hahn auffiel: Von den Schülern komme kaum noch Gesellschaftskritik. Dabei würden ihn deren Reaktionen interessieren: „Schüler sind noch offen, während Erwachsene oft nur noch in Schubladen denken.“ (dd)