Karben. Zu einer besonderen Gedenkstunde anlässlich der Reichspogromnacht vor 80 Jahren (9. und 10. November 1938) hatten die evangelische Kirchengemeinde Klein-Karben und die Karbener Initiative Stolpersteine in die St. Michaelis Kirche eingeladen.
Moritz Roß war ein ganz normaler »Groß-Kärber Bub«, wie jeder andere, der während der Kaiserzeit im Dorf aufgewachsen ist. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er für sein Vaterland auf den Schlachtfeldern Frankreichs. Seine Tapferkeit brachte ihm sogar das Eiserne Kreuz Erster Klasse ein. Aber er verlor einen Unterschenkel. Der Kriegsheimkehrer übernahm das 1886 gegründete Bekleidungsgeschäft seines Vaters in der Wilhelmstraße.
Es dauerte aber nur ein paar Jahre, bis auch ihm, dem »deutschen Helden«, ein immer schärfer werdender Wind entgegenwehte. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wuchsen Ressentiments und Übergriffe gegenüber der jüdischen Bevölkerung. In der Reichspogromnacht explodierte der Hass im ganzen Land. Das war auch in Groß-Karben nicht anders, wo es eine große jüdische Gemeinde gab. Moritz Roß war hier Mitglied.Dessen letzte Lebensjahre hat Hartmut Polzer von der Initiative Stolpersteine auf besondere Weise beleuchtet.
Pfarrer Werner Giesler erinnerte an ein weiteres Jubiläum: »Vor 30 Jahren hat die evangelische Kirchengemeinde zum ersten Mal zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht eingeladen«, sagte er. »Wir haben das damals als Mahnung und zum Gedenken für alle Karbener Stadtteile gemacht.«
Dass die Veranstaltung seither in jedem Jahr stattfinde, habe nur an den Worten einer Frau gelegen, die inzwischen verstorben sei: »Das müssen wir jetzt nicht jedes Jahr machen, da muss mal endlich Ruhe einkehren!« Genau diese Sätze hätten ihn motiviert, weiterzumachen, so Giesler.
BRAUCHEN KLARE WORTE: »Auch nach 80 Jahren brauchen wir solche Veranstaltungen, brauchen solche Aktionen wie die Stolpersteine, brauchen Solidarität mit den jüdischen Mitbürgern, die Freundschaft mit ihnen. Und wir brauchen klare Worte und ein Nein zu Antisemitismus und Rassismus«, mahnte Pfarrer Giesler in der gut besuchten Kirche.
Polzers Herangehensweise an das Thema nannte Giesler einen »Kunstgriff«. Er meinte damit die etappenmäßige Darstellung der Jahre 1938 bis 1942 anhand eines Einzelschicksals. Fiktive Briefe aus dieser Zeit wurden verlesen, die Moritz Roß so geschrieben haben könnte, aber niemals geschrieben hat. Als Eckpunkte dienten Hitlers Geburtstag am 20. April 1938, die Reichspogromnacht am 9. November 1938, der Wegzug des Ehepaares Roß nach Frankfurt im gleichen Jahr und schließlich deren »Übersiedlung« nach Theresienstadt 1942.
Die Fakten entsprachen der Realität und waren durch Dokumente historisch belegt. Fotografien in Plakatform, wie zum Beispiel die zerstörte Synagoge in Groß-Karben, nahmen die Zuhörer auf eine bittere Zeitreise mit. Untermalt wurde die Lesung von Musikstücken, die Lydia Blum (Violoncello) und Hannah Laus (Violine) einspielten.
Im letzten Brief schreibt Roß, dass seine Frau Klara und er am 15. September 1942 nach Theresienstadt gebracht würden. An ihrem 23. Hochzeitstag. Sie durften nicht mehr als einen Koffer oder einen Rucksack mitnehmen und nicht mehr als 50 Mark. Für eine Umsiedlung in ein Altenheim sei das so üblich. Sobald sie an ihrem Bestimmungsort angelangt seien, wolle er sich wieder melden. Ungefähr zwei Jahre später wurden Moritz und Klara Roß von Theresienstadt ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht und dort ermordet.