Die Heilsarmee rockt. Auf der Reeperbahn wird geschuhplattelt. Ein asiatischer Koch präsentiert „There’s No Business Like Show-Business“ als indischen Folklore-Hit: Das alles und noch viel mehr an unerwartetem Durcheinander wurde vom Musical-Ensemble der Burgfestspiele bei der Premiere der Schlagerrevue „Sehnsucht nach St. Pauli“ mit riesigem Spaß an der Sache dargeboten. Das Publikum johlte.
Bad Vilbel. Die Szenerie spielt vor dem etwas heruntergekommenen Interieur eines Ex-Bordells, für das Ausstatterin Pia Oertel zuständig zeichnete. Und auch die von Anja Müller entworfenen Kostüme haben ihren eigenen Charme.
Das Ensemble brachte das Publikum sowohl von der darstellerischen als auch der tänzerischen Leistung in Windeseile auf seine Seite. Wobei die Hauptdarsteller von „Kiss me Kate“ hier nur als Randfiguren dabei sind, während die dortigen Nebenrollen viel mehr zeigen, zu was sie fähig sind.
Brillante Musiker
Doch was wäre eine Schlagerrevue ohne rassige Choreografie (Stephan Brauer) sowie ohne brillante Musiker! Sehr zu Recht erhielten Thomas Lorey (musikalischer Leiter), Thomas Elsner (Schlagzeug), Stefan Kreuscher (Bass), Heinz Lyko (Akkordeon) und Kai Picker (Gitarre) besonders viel Applaus.
Regisseur Benedikt Borrmann hat das Aufeinandertreffen von Gegensätzen zum Ausgangspunkt seiner Geschichte gemacht, entlang der er den Reigen der Schlager anordnet. In Hamburg-St. Pauli treffen Menschen aus aller Herren Länder aufeinander, Heimatsehnsucht vermischt sich mit Fernweh. Auf der Reeperbahn, dem Inbegriff für verruchtes Treiben in einem Rotlichtviertel, prallen Gegensätze aufeinander, vermischen sich und gebären neue Klischees. Käuflicher Sex und Macho-Gehabe schließen romantische Liebessehnsüchte nur auf der coolen Oberfläche aus.
So ist es eine wahre Freude, wenn Diego, genannt „Das Messer“ (Luigi Scarano), am Telefon mit seiner Maria auf italienisch flirtet, oder Nachwuchszuhälter Lothar (Oliver Polenz) eine romantische Liebes-SMS an sein „leichtes Mädchen“ aus der „Körperverleihbranche“ schreibt. Dass alles doch gut werden kann, lässt sich erahnen, als der von Liebesgram gerade noch schwer niedergedrückte Provinzler Ferdinand (Dirk Hinzberg) und Heilsarmistin Rosa Taff (Stephanie Marin) beim ersten Blick in die Augen hin und weg sind.
Dass in einer auf Nostalgie und Parodie setzenden Schlagerrevue harte Auseinandersetzungen bestenfalls angedeutet werden, liegt in der Natur der Sache. So lässt Regisseur Benedikt Borrmann die Szenen in „Sehnsucht nach St. Pauli“ immer in sehr „kuschelige“ Situationen münden. Etwas deftiger wird es, wenn sich Putzfrau Maria (Camilla Kallfaß) und die „Prinzessin“ (Verena Mackenberg) ihren Frust über die Männer an ihrer Seite von der Seele singen: „Danke, danke für die Blumen von der Tanke“ kommt zwar ironisch, aber doch relativ harmlos daher. Eine Nummer krasser wird es im Song „Bitte, bitte spring doch vom Balkon“. Beide Songs sind von der Regie mit weitaus mehr Witz in Szene gesetzt und von Kallfaß und Mackenberg mit mehr Pepp vorgetragen als die Originale von Barbara Schöneberger und Ina Müller.
Nun haben beide Lieder nicht direkt etwas mit St. Pauli zu tun, aber sei’s drum. Schließlich wird dies ausgeglichen durch einen großen Auftritt von Udo Lindenberg. Und natürlich fehlen im Repertoire der Inszenierung auch keineswegs Lieder, die durch Hans Albers und Freddy Quinn bekannt wurden. Auch Beatles-Songs gehören dazu, schließlich hatten die „Schreihälse aus Liverpool“ im Starclub auf St. Pauli viel früher Erfolg als in England und dem Rest der Welt.
Auch wenn die Inszenierung nach der Pause an innerem Schwung verliert und allzu deutlich auf das Finale zusteuert, so ist sie doch eine runde Sache und animiert das Publikum häufig zum Mitklatschen, Mitsingen und zu einem kräftigen Schlussapplaus.
„Sehnsucht nach St. Pauli“ steht noch bis Saisonende Anfang September mit 17 weiteren Vorstellungen auf dem Spielplan (siehe www.kultur-bad-vilbel.de.