Obwohl es bereits dunkel geworden ist, entsteht im Schein der angezündeten Teelichter eine behagliche, warme Atmosphäre. Ich stehe im Vorhof des Kapuzinerklosters in der Frankfurter Innenstadt, der von vielen Kerzen erhellt wird. Jede Kerze, die hier brennt, steht für ein Gebet, eine Bitte für einen lieben Menschen, fürsorgliche Gedanken, die an den Himmel adressiert sind. Ich zünde meine Kerze an und denke: So viele Menschen, die auf die Kraft des Gebetes vertrauen. Das stärkt auch meinen Glauben.
Wenn ich nicht irgendwann mit dem Beten begonnen hätte, dann hätte ich wohl schon längst im Glauben Schiffbruch erlitten. Früher dachte ich, ein Christ wäre jemand, der eine ganz bestimmte Weltsicht, ein System von Werten und Normen, eine bestimmte Theologie hat. Heute weiß ich: Glauben ist Leben in und aus dem Vertrauen, eben aus dem Gebet. So wie in Ehe und Partnerschaft das tägliche Gespräch, das Wissen darum, wie es dem anderen geht, die Beziehung lebendig erhält, so wächst unser Vertrauen aus dem täglichen Hören auf und Sprechen mit Gott.
Dabei bedeutet Beten so viel mehr als eine bestimmte Körperhaltung einzunehmen, die Hände zu falten, eine Kerze anzuzünden, auf den eigenen Atem zu lauschen. All das kann helfen, sich besser zu konzentrieren, sich selbst mehr wahrzunehmen, offener zu werden. Viel wichtiger aber ist es, dass ich Gott erlaube, hinter meine Masken zu schauen, die ich trage. Dass ich ehrlich sage, wie es mir geht. Die Hände öffnen, dass Gott meine vollen Hände immer wieder leere und fülle mit dem, was ich wirklich brauche. Aber wann betet ein Mensch? Wenn er Du sagt. Wo der eine zum anderen Du sagt und wirklich Du meint, da findet eine wirkliche Begegnung statt, die beide verändert. Gott hat in Jesus wirklich und ein für allemal zu uns Du gesagt. Jesus ist das Du Gottes. Da mag einer jahrelang Ausschau halten und über Gott und die Welt nachdenken, aber ohne ein Wort, ohne Du. Doch dann, keiner weiß wie, hält er auf einmal inne und sagt das erste Mal ganz bewusst: Du, lieber Vater … Und lächelt. Darin liegt alles.
Der kommende Sonntag trägt den motivierenden Namen: Betet! (Rogate). Beten ist nicht schwer. Es ist einfach ehrliches Sprechen – mit den Menschen und mit Gott. Du sagen.
Es grüßt Sie herzlich zum Sonntag des Gebetes,
Pfarrer Johannes Misterek
Ev. Kirchengemeinde Dortelweil