Bad Vilbel. Irmgard Litten kämpfte fünf lange Jahre gegen Hitler, um ihren Sohn Hans aus den Fängen der Gestapo und aus den Konzentrationslagern zu befreien. Enkelin und Nichte Patricia Litten erzählte am Mittwoch der vorigen Woche in der Stadtbibliothek die erschütternde Geschichte ihres Onkels und den tapferen Kampf ihrer Großmutter.
Der »Tag des verfolgten Anwalts« am 24. Januar macht jedes Jahr auf die Schicksale von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aufmerksam, die wegen ihrer Tätigkeit bedroht, inhaftiert und verfolgt werden. In Bad Vilbel fand – passend zum Gedenktag – in der Stadtbibliothek die Lesung »Eine Mutter kämpft gegen Hitler« statt.
In ihrem Buch schildert Irmgard Litten (1879 – 1953) das tragische Schicksal ihres ältesten Sohnes Hans Joachim Albert Litten (1903-1938). Er war bekannt als Anwalt des Proletariats, hartnäckiger Strafverteidiger und mutiger Gegner des NS-Regimes.
Eingeladen zu dieser emotionalen Lesung mit der Theater- und Filmschauspielerin Patricia Litten hatten die Naturfreunde gemeinsam mit der AWO und der Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer. »Diese Geschichte ist keine Fiktion. Es ist die Geschichte meiner Familie. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die sich der Willkür nie gebeugt haben und bis zuletzt mutig für Menschlichkeit und Gerechtigkeit gekämpft haben«, sagte Patricia Litten. Sie las Passagen aus dem von ihrer Oma geschriebenen Buch vor, fragte ihre 130 Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder »Wie hätten wir reagiert?« und zog Parallelen zur Gegenwart.
Irmgard Litten schrieb das Buch in der Emigration, es wurde 1940 in England unter dem Titel »A Mother Fights Hitler« erstmals veröffentlicht. Den Zorn und den Hass von Adolf Hitler und den Nazis zog sich Hans Litten als junger Rechtsanwalt zu. Unter anderem hatte er als 28-Jähriger am 8. Mai 1931 als Nebenkläger im sogenannten Edenpalast-Prozess vor dem Berliner Kammergericht Hitler als Zeugen vernommen.
Fünfjähriges Martyrium
Durch Littens gezielte Befragung in die Enge getrieben, brüllte Hitler im Zeugenstand hysterisch und verstrickte sich unter Eid in Lügen.
Diese Blamage vergaß Hitler nie: Hans Litten wurde noch in der Nacht des Reichstagsbrands am 28. Februar 1933 verhaftet. Es folgte ein fünfjähriges Martyrium, bestehend aus Folter und Demütigungen in verschiedenen Gefängnissen, KZs und Zwangsarbeiterlagern. Schwere körperliche Arbeit und Folterungen hinterlassen bleibende gesundheitliche Schäden. 1934 kommt Hans Litten in das KZ Lichtenburg in Prettin an der Elbe. Dessen Kommandant lässt die Häftlinge an einem der nationalsozialistischen Feiertage ein »Kulturprogramm« aufführen. Und Hans Litten, auf einem Auge blind, kaum noch gehen könnend, unter schwerer Herzschwäche leidend, stellt sich vor die SS und trägt das Gedicht »Die Gedanken sind frei« vor. In der Haft versucht er mehrmals, sich das Leben zu nehmen. Am 5. Februar 1938 erhängt sich Hans Litten in der Latrine des KZ Dachau.
Seine Mutter Irmgard Litten hatte seit dem Tag der Verhaftung alles unternommen, um ihren Sohn zu befreien. »Sie mobilisierte alle ihre Freunde und Beziehungen. Es gelang ihr mehrmals, Hans das Leben zu retten, aber es war nur für neue Quälereien, neue Demütigungen. Immer wieder gab es Versuche, kleine Erleichterungen zu erlangen, die dann am nächsten Tag widerrufen wurden.«
Als Vaterlandsverräterin amtlich denunziert
Ihre Hartnäckigkeit führte sie bis zu den Spitzen des NS-Regimes. Sie organisierte Beistand für Hans und internationale Solidarität. Irmgard Litten ging 1938 ins Exil. In England machte sie für die BBC die Sendungen »This is the voice of England« und hielt Vorträge. 1950 kehrte Irmgard Litten, die wie die ganze Familie Litten staatenlos war, nach Süddeutschland zurück. »Und da hat ihr die bayerische Regierung alle Ansprüche auf eine Rente, auf eine Pension, auf ein Grundstück, was ihr ursprünglich mal gehört hat, abgesprochen – mit der Begründung, sie sei eine Vaterlandsverräterin. Sie war vor dem Nichts, sie war alt, sie war krank, sie war komplett am Ende.« Sie geht nach Ostberlin, wo ihr zweitältester Sohn Heinz als freier Theaterregisseur und zwischenzeitlich Intendant der Berliner Volksbühne lebte. Patricia Littens Vater Rainer Litten war Schauspieler, emigrierte in die Schweiz und kehrte nie wieder nach Deutschland zurück.
Gefördert wurde der Abend vom Wetteraukreis mit Mitteln aus dem Programm »Demokratie leben!« des Bundesfamilienministeriums und kofinanziert vom Land Hessen. Moderiert wurde die Lesung von der Fachdienstleiterin Kultur, Annette Zindel-Strauß. Begleitet wurde Patrizia Litten von Cellistin Birgit Saemann.
Von Christine Fauerbach
Irmgard Litten: »Eine Mutter kämpft gegen Hitler« mit einem Vorwort von Rudolf Olden und einem Nachwort von Heribert Prantl, Verlag ars vivendi, 2019, 296 Seiten, 18 Euro