Bad Vilbel/Ober-Mörlen. 20 000 junge Meerforellen sollen im nächsten Frühjahr in die Zuflüsse der Nidda im Wetterau-, Hochtaunuskreis und in Frankfurt eingesetzt werden – und nach einer Wanderung ins Nordmeer nach zwei bis fünf Jahren zum Laichen zurückkehren in Urselbach, Erlenbach und die Usa. Umweltschützer und Angler wollen mit dem Projekt „Lachs der Nidda“ der Renaturierung des einst zum Abwasserkanal deklassierten Gewässers zum vollständigen Durchbruch verhelfen.
Gottfried Lehr ist ein Mensch mit Visionen. „Stellen Sie sich vor: In ein paar Jahren ist Vilbeler Markt, hunderte von Menschen stehen an der Nidda und dann springt so ein Fisch anderthalb Meter in die Höhe.“ Der Gewässerökologe grinst über beide Backen. „Nidda-Papst“ ist sein Spitzname, seit er zusammen mit dem damaligen Frankfurter Umweltstadtrat Tom Koenigs (Grüne) 1989 die ersten Barben in der Nidda aussetzte. „Das war der Startschuss für alles, was nachkommt.“ Nun soll der finale Schritt kommen, damit die Nidda und ihre Zuflüsse zu dem werden, was sie vor der Kanalisierung waren: artenreiche Lebensräume der Natur.
Den Sprung dorthin übernimmt quasi die Meerforelle. Sie war schon früher in den Gewässern heimisch, wird deshalb Nidda-Lachs genannt. Sie ist eine genetisch beinahe gleiche Schwester der längst in den Flüssen und Bächen wieder heimischen Bachforelle. „In Aussehen und Lebensweise ähnelt sie stark dem Atlantischen Lachs“, erklärt Gottfried Lehr. Sie wandert nach zwei Jahren in den Nordatlantik. Anders als der Lachs können Meerforellen die lange Wanderung dorthin und zurück aber zwei- bis dreimal machen. Der normal um die 60 Zentimeter große Fisch kann dabei bis zu 1,30 Meter groß werden. Nicht drei Meter hoch wie der Lachs, sondern „nur“ bis zwei Meter hoch springen die Meerforellen, um Hindernisse wie Wehre und Stromschnellen zu überwinden.
Das werden sie bei ihrer Reise aus den drei Bächen via Nidda, Main und Rhein in die Nordsee und ins Nordmeer auch müssen. Heute wäre der Weg noch unüberwindbar: Die Main-Schleusen in Kostheim und Eddersheim müssen noch Umschwimmungen bekommen, ebenso die Nidda-Wehre von Höchst bis Eschersheim. Zum Teil sind die Fischumgehungen schon baureif, zum Teil in der Planung, berichtet Werner Kristeller, der Leiter der Stadtentwässerung Frankfurt. In zwei bis fünf Jahren – also wenn die ersten Meerforellen zurückwandern – sollen die meisten Projekte realisiert sein. „Wo das nicht klappt“, verspricht Kristeller, „werden wir die Wehre während der Wanderzeit der Fische so weit absenken, dass sie diese überwinden können.“ Schon zahlt sich aus, dass Angler und Umweltschützer den Zeitrahmen mit dem Aussetzen der Jungtiere genau vorgeben.
In seltener Eintracht arbeiten Umweltschützer und Angler zusammen: Die Interessengemeinschaft der Nidda-Sportanglervereine und die Usa-Notgemeinschaft haben dazu Städte, Umwelt- und Fischereibehörden an einen Tisch geholt. Für die erste Aktion 1989 genügten noch 100 000 Mark vom Mineralwasserhersteller Hassia. Heute kosten die Projekte oft Millionen. Damit die jungen Nidda-Lachse ausgewildert werden können, will diesmal der Wetteraukreis 20 000 Euro auf den Tisch legen. Konkret sollen davon 10 000 Fische im Erlenbach zwischen Burgholzhausen und Massenheim ausgesetzt werden, 8 000 in der Usa zwischen Wernborn und Ober-Mörlen, 2000 im Urselbach zwischen Ober- und Niederursel.
Die Anglervereine wollen ehrenamtlich die Pflege und Bestandsaufnahme übernehmen. „Dafür stehen wir gerne zur Verfügung“, sagt Willfried Bretsch von den Vilbeler Anglern. Er hofft noch auf Schulungen, damit die Angler Bach- und Meerforellen auseinander halten können. Warum aber dieses Engagement, obwohl die Meerforelle doch geschützt ist und nicht geangelt werden darf? „Es geht nicht nur darum, einen dicken Fisch mit heim zu nehmen“, sagt Wolfgang Heisig von der Usa-Notgemeinschaft. „Sondern, das ganze Ökosystem blühen zu sehen.“ Der Nidda-Lachs soll dafür die Initialzündung sein: „Wenn man die Lebensräume schafft“, sagt Gottfried Lehr, „dann kommen die meisten Arten von selbst zurück.“ (den)