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Der brennende Dornbusch und ich-Das Wort zum Sonntag

Wer von uns kennt sie nicht, diese Geschichte aus dem Alten Testament mit Mose vor dem brennenden Dornbusch (2. Mosebuch Kapitel 3)? Mich spricht sie immer wieder neu an. Sie beginnt ja zunächst mit einer ganz alltäglichen Szene: Mose beim Hüten der Schafe seines Schwiegervaters Jitro. Ja doch, er ist tief gefallen, der ehemalige Zögling am Hof des Pharaos. Fliehen musste er damals, nachdem sein Totschlag an einem Ägypter bekannt geworden war. Und jetzt bewegt er sich mühsam in der Glut der Steppe in die Nähe des Berges Horeb auf der Sinaihalbinsel. Mose hat tagein tagaus viel Zeit, über sein verpfuschtes Leben nachzudenken. Es mögen kreisende Gedanken sein, voller Sehnsucht nach einem anderen Leben, aber irgendwie ziellos. Und da geschieht es. Mitten in seinem Alltagssinnieren gerät er in Spannung. Etwas Unglaubliches spielt sich vor seinen Augen ab: ein brennender Dornbusch, der doch vom Feuer nicht verzehrt wird. Wie das? Eine gesunde Neugier lässt ihn vor dem Wunder nicht aus Angst fliehen, sondern darauf zugehen. Ich versuche, mich in Mose hineinzudenken: „Was geschieht mir da? Ich will und muss es wissen.“ Und beim Nähertreten geschieht das Unerwartete: Gott spricht zu ihm aus dem Busch: „Mose, Mose!“ Da gibt es kein Überhören: „Ich, Mose, bin gemeint! Es geht hier einzig um mich!“ Und so antwortet er denn auch entsprechend: „Hier bin ich.“

Ich sehe auf mich: Was sind meine Alltagssituationen, die mich sehnsuchtsvoll und ziellos zugleich umtreiben? Wo möchte ich einen Ruf hören, der mich wach macht, der meinem einfach so dahin fließenden Leben eine sinnvolle Richtung gibt? Mose hört seinen Namen mitten in einem außergewöhnlichen Ereignis, das ihn aus der eintönigen Bahn des Alltagserlebens herausruft. Was können für uns heute solche Situationen sein? Ich denke, das können Krankheiten und Unfälle sein, Ereignisse, die ich mir selber nicht ausgedacht oder die ich bewusst gewollt habe. Die einfach geschehen. Die mich verwirren. Vor denen ich nicht fliehen kann. Die mich im Wesen beschäftigen. Und in denen ich den Anruf Gottes vernehmen kann, mitten im brennenden Dornbusch meiner Gefühle und Gedanken. Es kann der erste Schritt eines neuen Lebens, einer neuen Sicht und Ausrichtung meines Lebens sein. Wenn ich da, genau da mittendrin, den Ruf Gottes an mich und mein Leben höre. Und persönlich antworte: „Hier bin ich.“ Ja, ich stelle mich der Herausforderung, dem Heraus-Ruf. Und fange an, von Gott her mein Lebenspuzzle zu sortieren und zu einem neuen Bild zusammenzusetzen. Mit Mose hat Gott damals Großes vorgehabt: die Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft in Ägypten. Welche Freiheitsgeschichte möchte Gott wohl für mich heute und durch mich für andere schreiben?

Matthias Gärtner,

Pfarrer

Ev. Kirchengemeinde Dortelweil