Den Rückspiegel abschrauben? Wer kann so etwas wollen? Das Gegenteil trifft zu: Wenn ich im Sommer mit dem Wohnwagen unterwegs bin, dann bringe ich zusätzliche Rückspiegel am PKW an, damit ich auch am breiteren Wohnwagen vorbei nach hinten schauen kann!
In der Bibel steht ein Wort von Jesus, das uns den Blick nach hinten geradezu verbietet: „Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes“ (Lukas 9,62). Die Aufforderung Jesu ärgert mich: Ich erinnere mich sehr gerne an besonders schöne Urlaube, an meine Hochzeit, an die Geburt meiner Kinder. In der Kirchengemeinde blicken wir zurück und feiern 10 Jahre Vater-Kind-Wochenenden oder das Jubiläum des Kirchengebäudes. Als Pfarrer komme ich zu den runden Seniorengeburtstagen – und immer ist der Blick zurück auf ein langes Leben ein wichtiger Bestandteil des Tages. Der Blick zurück lehrt mich dankbar zu sein für viele gute Erlebnisse. Der Blick zurück lehrt mich aber ebenso, aus Fehlern und schlechten Erfahrungen zu lernen. Und ist nicht im Alter der Blick zurück die beinahe logische Konsequenz daraus, dass die meiste Zeit des Lebens hinter einem liegt?
Und doch fordert Jesus uns auf, nicht in der Vergangenheit zu leben. Wie meist hat Jesus dies in sehr deutlichen und vielleicht überspitzten Worten ausgedrückt: Nur ein sehr klares Wort provoziert mich so, dass ich über etwas neu nachdenke. Das wollte Jesus immer wieder: Menschen provozieren, sie herausrufen aus den eingefahrenen und manchmal auch festgefahrenen Lebenswegen und neu ausrichten auf Gottes Wege.
Was sind diese Wege Gottes? Wir haben den Auftrag, die Welt um uns zu gestalten. Von diesem Schöpfungsauftrag ist schon in der ersten Geschichte der Bibel, der Schöpfungsgeschichte, die Rede. Aber es geht auch um die Gestaltung unseres Miteinanders in Frieden und Gerechtigkeit. Die Bewahrung der Schöpfung und der Einsatz für eine gerechte und friedliche Welt aber brauchen den Blick nach vorne. Wer an dieser Arbeit ist (Jesus nutzt dafür das Bild des Pfluges), der soll und muss Gegenwart und Zukunft im Blick haben!
Meinen Rückspiegel am Auto schraube ich nicht ab. Vielleicht ist er sogar sehr im Sinne Jesu: die große Frontscheibe ermöglicht mir einen Blick nach vorne, aber ich kann doch im Augenwinkel erkennen, was hinter mir geschieht und wo ich herkomme. Ich behalte die Vergangenheit im Blick und bin doch zielstrebig auf dem Weg nach vorne.
Ich wünsche Ihnen sicheres Fahren und vor allem einen klaren Blick in die Welt, die wir im Auftrag Gottes mitgestalten dürfen und sollen.
Pfarrer Dr. Klaus Neumeier,
Ev. Christuskirchengemeinde
Bad Vilbel