Eltern und Kinder in Bad Vilbel machen gegen „Kurzdenker-Politik“ und mangelndes Problembewusstsein für ihre Belange bei Politikern mobil. Sie gingen am Samstag auf die Straße, um für die gefährdete Betreuungsschule an der Stadtschule (BS), für verlässliche und bezahlbare Betreuungsangebote sowie gegen die neue Kita-Gebührensatzung, falsche Gewichtung bei der Vergabe von Steuergeldern, mangelnde Transparenz und schlechte Kommunikation zu demonstrieren.
Bad Vilbel. Eskortiert von zwei Einsatzwagen der Polizei, sechs Polizisten und zwei Mitarbeitern des Ordnungsamtes zogen 230 Eltern mit ihren Kindern durch die Vilbeler Innenstadt. Ihr Weg führte die mit Pfeifen, Rasseln und Trommeln ausgerüsteten Demonstranten vom Treffpunkt am Südbahnof durch die fast menschenleere Vilbeler Einkaufsmeile bis zum Alten Rathaus. Dort fand vor dem Brunnen- und Bädermuseum die Abschlusskundgebung statt.
Ohrenbetäubender Lärm, Rufe „Wir wollen Kinder! Die BS muss bleiben“ sorgten für Aufmerksamkeit bei Passanten und Geschäftsleuten. Unterstützt wurden die Demonstranten von Kommunalpolitikern aus den Reihen der SPD und des Seniorenbeirates, Stadtschul-Rektorin Kirsten Schenk-Lalk, BS-Leiter Peter Koch, Großeltern und Pfarrer Klaus Neumeier von der evangelischen Christuskirchengemeinde. „Unsere Mitte die Kinder“ lautete die unmissverständliche Botschaft der Eltern an die Entscheider in Stadt und Kreis.
Mit dem großen Banner führten die laut rufenden und pfeifenden Kinder der BS und Schulelternbeirätin Elke Stellflug den Protestzug an. Auf den Plakaten stand etwa: „Kinder in Bad Vilbel Luxus?“, „Wo bleibt die Familienfreundlichkeit?“, „Geld für Prestigeobjekte, aber nicht für die Kinderbetreuung?“ und „Schulkinder brauchen mehr Betreuung!“
Eltern hatten ihren jüngeren Nachwuchs an der Hand, auf die Schultern gesetzt oder im Kinderwagen dabei. Elke Stellpflug und Antje Stobbe nannten als Ziele ihres Protestes „bezahlbare Kinderbetreuung und den Erhalt der BS. „Wir sehen keinen Sinn in einer Kurzdenker-Politik, die gesetzlich einklagbare U3-Plätze schafft, aber bestehende Betreuungseinrichtungen gegen die Wand fährt“, rief Antje Stobbe.
Existenzkrisen
Ihre Frage an die Politiker lautete: „In welche Betreuungseinrichtung sollen unsere Kinder denn in fünf Jahren gehen?“ Für Eltern sei die Betreuung vor und nach der Schule und in den Ferien immens wichtig, denn nur so könnten sie ihrer Arbeit nachgehen. „Wir sprechen dabei nicht von Selbstverwirklichung, sondern davon, den Unterhalt für unsere Familien zu verdienen“, so Stobbe.
Alleinerziehende würden durch die von Kreisschuldezernent Helmut Betschel-Pflügel (Grüne) und Vilbels Sozialdezernentin Heike Freund-Hahn (FDP) angekündigten Maßnahmen in eine Existenzkrise geworfen. Zu den Alleinerziehenden bei der Demo gehörte etwa Anja Joudan. „Ich bin auf die BS angewiesen, habe bereits meine Arbeitszeit reduziert. Ich habe keine Familie in Hessen, meine Tochter bekommt kein warmes Mittagessen“, sagte sie. Ähnlich schilderte Krankenschwester Annemari Hübner, Mutter eines Siebenjährigen, ihre Lage: „Sven braucht ab 7.30 Uhr eine Betreuung. Ich arbeite Schicht. Seine älteren Geschwister bringen ihn morgens auf dem Schulweg in die BS.“ Ein Vater rief verärgert: „Wir haben für unsere beiden Kinder keine bezahlbare Betreuung bekommen. Sie sind tagsüber allein.“ Elke Stellpflug forderte, Eltern zu unterstützen, die Betreuungsschule zu erhalten und auszubauen, weitere verlässliche und für alle Eltern finanzierbare Betreuungsangebote in der Stadt zu schaffen anstatt „prestigeträchtige Projekte“ wie die Europäische Schule, die Neue Mitte oder die Mediathek zu finanzieren.
Rektorin fassungslos
Vermisst wird von den Eltern eine transparente Kommunikation. Wichtige Informationen erhielten Eltern aus der Presse, hieß es. Rektorin Kirsten Schenk-Lalk nannte die von den beiden Politikern gegen sie erhobenen Vorwürfe und Behauptungen „unglaublich“. Sie will sich in den nächsten Tagen zu den Vorwürfen äußern. Der Schuldezernent hatte ihr in der FNP unter anderem vorgeworfen, sie sei nicht zu einem Gespräch bereit gewesen. Martin Stellpflug sagte: „Es kommt bei allen Äußerungen der Politiker nicht zum Ausdruck, wie wichtig die BS während der Schulzeit und in den Ferien für berufstätige Eltern ist.“
Für Pfarrer Neumeier liegt die Grundproblematik zwischen Pflicht und Kür: Für alle Ebenen, Stadt, Kreis und Land, sei die Betreuung Über-Sechsjähriger Kür. Keiner wolle zahlen, die Eltern würden allein gelassen.
Die Kommunikation der Politiker mit der Bevölkerung sei eine Katastrophe, so Neumeier: „Was ist das für ein Stil, einen Tag vor der Demonstration eine Pressekonferenz einzuberufen anstelle eines gemeinsamen Gespräches mit allen Betroffenen?“ Helmut Betschel-Pflügel will ein Gespräch mit Elternvertretern der Schule führen.