Im Grunde hatte er keine Besitztümer als Gustl Mollath letzte Woche aus der Psychiatrie entlassen wurde. Nach rund sieben Jahren in der Anstalt konnte er nicht mal einen Pass vorweisen. Sein Schicksal hat in den vergangenen Monaten viele Menschen in Deutschland bewegt. Auch mit der Frage, wie man das aushalten kann: Einfach so entmündigt zu werden, leidend unter dem Gefühl der Ungerechtigkeit, und als mögliches Justizopfer gegen den eigenen Willen festgehalten werden, über Jahre hinweg.
Gestaunt haben die Zuschauer dann umso mehr, als sie einen ruhigen, einen selbstbewussten und einen keineswegs gebrochenen Gustl Mollath erlebten an dem Tag, als er aus der Psychiatrie entlassen wurde. Auch ich finde es beeindruckend, dass dieser Mann in seiner Zwangslage offenbar er selbst geblieben ist, ohne sich von den äußeren Umständen verbiegen zu lassen.
Im Grund hatte er keine Besitztümer, und doch trug er etwas sehr Wertvolles in den Händen. Einen Blumentopf mit Dattel- und Orangenbäumchen, die er selbst gezogen hatte. Er hielt ihn immer fest in beiden Händen und an den Körper gedrückt, so als ob es sich um einen Schatz handeln würde. Und vielleicht ist auch genau das der Fall. Vielleicht ist dieser Blumentopf auch die Antwort auf die Frage, wie man so etwas aushalten kann: Jahrelang eingesperrt zu sein, womöglich zu Unrecht.
Anstatt zu verzweifeln und aufzugeben hat hier einer das Gespür dafür gehabt, dass es sich lohnt zu hoffen und zu warten. Lange hat es gedauert, bis er sich wieder den „Wind der Freiheit“ um den Kopf wehen lassen konnte, wie er es begeistert kommentierte, mit heruntergelassenen Fenstern Autofahren zu können. Genauso, wie es lange gedauert hat, bis das Dattel- und das Orangenbäumchen herangewachsen sind, um eines schönen Tages Früchte zu tragen.
Die Menschen, die von alters her zu Gott hielten, haben diese Erfahrung in immer neuen Varianten ebenfalls machen müssen. Das Leben als Sklaven in Ägypten, die Bedrohungen in ihrer neuen Heimat Kanaan, die lange Zeit der Gefangenschaft in Babylon: Das Alte Testament der Bibel berichtet immer wieder von der Geduld, dem Warten, der Hoffnung der Gläubigen. Aber genauso berichtet es von einem Gott, der diese Hoffnung nicht enttäuscht.
„Siehe, ich will ein Neues schaffen. Jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“, heißt es aus seinem Mund, als er ankündigt, die babylonische Gefangenschaft beenden zu wollen (Jes 43,19). Er weist darauf hin: Freiheit fängt immer im Kleinen an, manchmal muss man genau hinschauen. Aber wenn man dem vertraut, der versprochen hat, an unserer Seite zu stehen, dann wird man sie wachsen sehen wie eine Pflanze, die klein beginnt und immer größer wird.
Ob Gustl Mollath für immer frei bleiben wird, ist noch nicht entschieden. In einem neu aufgerollten Verfahren wird das Gericht zu entscheiden haben, ob er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt oder nicht. Es wird noch Monate dauern, bis hier das Urteil gesprochen ist. Das Bild, das er mir aber schon jetzt geschenkt hat, ist eines, das mich noch lange begleiten und an das Wirken des Freiheit liebenden Gottes erinnern wird: Ein Dattel- und ein Orangenbäumchen, stark machende Symbole der Hoffnung inmitten der Haft.
Ingo Schütz,
Ev. Christuskirche Bad Vilbel