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Das zweite Leben

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bad Vilbel Rafael Zur (80) legt seine Lebenserinnerungen vor. Zur ist ein Überlebender des Holocaust, der Jahre in Israel verlebt hat und in den 70er-Jahren mit seiner Familie nach Deutschland übersiedelte. In Bad Vilbel hat er sich als Kommunalpolitiker der SPD für die Aufarbeitung der Geschichte der Bad Vilbeler Juden eingesetzt.

Bad Vilbel. Lange hat Rafael Zur mit seinen Kindheitserinnerungen gerungen, hat immer wieder erzählt von der Flucht vor den Nazis und was danach kam. Er wollte diese Jahre vor dem Vergessen retten, und es ist ihm gelungen. Jetzt ist im Karbener Morlant-Verlag seine Lebensgeschichte erschienen.

Ein schmales Bändchen unter dem Titel: „Die Unruhe des Rafael Zur“. Es ist eine Lektüre, die mitreißt und verstehen lässt, warum Rafael Zur so zornig wird, wenn es um die Geschichte der Juden in Bad Vilbel geht. Vor allem aber entsteht aus einem Mosaik der Erinnerungen das Bild eines in Rumänien geborenen Juden mit deutschen Wurzeln, der vielfach entwurzelt wurde und dennoch mit Kraft und Energie sein Leben meisterte.

Abschied von Israel

Ein Leben mit Sprüngen und Entscheidungen, die er in seinem Buch selber „verrückt“ nennt. Ein Leben, das Fragen aufwirft und nicht auf alles eine Antwort bietet. Warum er etwa nach 46 Jahren von Israel nach Deutschland aussiedeln wollte und das auch tat, zusammen mit seiner Frau Hanna und der jüngsten Tochter Veza. Erst später kamen seine beiden älteren Kinder nach.

„Damals hat unser zweites Leben angefangen“, sagt er und erzählt in seinem Buch, wie es dazu kam. Warum er nach dem Jom-Kippur-Krieg nicht mehr in der israelischen Armee dienen wollte, einer Armee, der er sich anfangs mit Begeisterung zugehörig fühlte. Zuerst diente er als einfacher Soldat, später als Reservist im Offiziersrang.

„Man könnte annehmen, dass mein Leben so langsam in Ordnung gekommen ist“, heißt es im Buch. Der Familie ging es gut, sie hatten ein Haus gebaut, die Kinder gingen zur Schule, Hanna Zur hatte Arbeit als Oberschwester, Rafael arbeitete für die Regierung. Doch Zur wollte raus aus Israel und zog es durch mit allen Konsequenzen. 24 Jahre hat Rafael Zur in Israel gelebt und 36 Jahre in Bad Vilbel.

Im März hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert und an dem Projekt gearbeitet, seine Lebenserinnerung zu Papier zu bringen. Aufgeschrieben hat sie der Kulturwissenschaftler Christoph Schneider. Er hat Zur über Wochen zugehört und seine Worte zu Papier gebracht. Er hat auch die dramatischen Episoden geordnet und ergänzt durch Einschübe, die dem geschichtlichen Verständnis dienen.

Pogrom und Flucht

Ganz chronologisch beginnt das Buch mit den Kindheitstagen Rafael Zurs in Rumänien, anfangs noch geborgen in einer Familie mit gläubiger jüdischen Mutter und einem Vater, der Offizier beim rumänischen Militär war. Doch dann kommt der Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1941 in Rumänien, das Pogrom in seiner Heimatstadt Iasy und die anschließende Flucht mit seiner Familie und die Deportation seiner Mutter.

Wenn Zur davon erzählt, bricht seine Stimme, er tupft sich Tränen weg. Im Buch sind diese Emotionen eingefangen in einer knappen, direkten Sprache, die mitten hineinführt in die Geschehnisse. Erzählt wird in Ich-Form, so dass Zur als Mensch mit seinen Gefühlen immer gegenwärtig ist, sei es als Jugendlicher im Lager für „Displaced Persons“ oder in den Umbruchphasen seines Lebens.

Das Buch „Die Unruhe des Rafael Zur“, Lebenserinnerungen des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Bad Vilbel, ist erschienen im Morlant-Verlag. Es hat 108 Seiten und kostet 12,90 Euro.