Das Ein-Euro-Ticket für den Stadtverkehr entwickelt sich für Karben schon nach kurzer Zeit zu einem Groschengrab. Nach nicht einmal der Hälfte der Pilotphase wird jetzt schon klar: Die Stadtkasse wird mehr als dreimal so hoch belastet wie geplant. Teuer ist nun auch guter Rat.
Karben. Aus der Bustür heraus, dann fassen sich die beiden an der Hand. Lassen den 72er abfahren, treten von der Haltestelleninsel der notdürftigen Ersatzhaltestelle am Lindenplatz in Groß-Karben herunter und gehen nach Hause.
„Das machen wir jetzt öfter“, sagt die Mittfünfzigerin. Ihren Namen mag sie nicht in der Zeitung lesen. Aber dass sie und ihr Mann nun öfter den Bus nutzen, das erzählt sie gern. „Früher haben wir das nie gemacht. Aber jetzt schon, seit es so günstig ist.“ Sie waren beim Italiener im Stadtzentrum gut essen, ein wenig Rotwein gab es jetzt dazu. Früher wären sie mit dem Auto gefahren. „Aber nun ist das so günstig, da nehmen wir den Bus.“
Nur einen Euro pro Person und Strecke kostet das Bus- und Bahnfahren in Karben seit Januar. Das Billigticket hat die Stadtregierung eingeführt, einmütig hatte das Parlament zuvor Zustimmung zur Idee der SPD signalisiert.
Schlecht verhandelt?
Vor allem älteren Menschen sollte damit günstige Mobilität ermöglicht werden, ebenso Ärmere. Ebenso sollte die Tarifgrenze aufgelöst werden, die mitten durchs Stadtzentrum verläuft. Selbst die kurze Strecke vom Bahnhof zum Hallenfreizeitbad kostete bisher 2,60 Euro.
Nur mit Zähneknirschen hatten der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) und die Verkehrsgesellschaft Oberhessen (VGO) dem Karbener Wunsch entsprochen. Und auch nur unter der Prämisse, dass die Stadt die Einnahmeausfälle zahlt – also stets den Unterschied zum regulären Ticketpreis. Dadurch rechnete der RMV auf Basis der Fahrkartenverkäufe des Vorjahres und unter Annahme steigender Fahrgastzahlen mit einem Stadt-Anteil von 18 000 Euro im Jahr.
Schon kurz nach Einführung des Ein-Euro-Tickets warnte der Bürgermeister: Die Verkaufszahlen sind exorbitant hoch, der Zuschussbedarf könnte auf 30 000 Euro pro Jahr ansteigen. Nun wird die Lage noch schlimmer. „Der Zuschussbedarf steigt auf 60 000 Euro“, sagt Rahn.
In der jüngsten Sitzung des Stadtplanungsausschusses erntet der Bürgermeister dafür staunende Blicke. Denn der billige Einzelfahrschein werde inzwischen 3500-mal pro Monat verkauft. Das sei eine Steigerung der Verkaufszahlen bei Einzelfahrscheinen um mehr als 50 Prozent. Guido Rahn: „Das ist wohl der Fluch der guten Tat.“
War es nur eine gute Tat? „Das war schlecht verhandelt“, ruft spontan Stadtrat Jürgen Hinz dazwischen, ausgerechnet aus Rahns eigener Partei. Denn schon während der Debatten war bemängelt worden, dass der Anspruch des RMV nicht gedeckelt sei auf die Höhe der vorherigen Ticket-Verkaufszahl. Sprich: Führe das Ein-Euro-Ticket zu höheren Fahrgastzahlen, habe der RMV ja sowieso ein Plus, die Stadt müsse das aber nicht mehr mitbezahlen.
Einzel- statt Zeitkarte
Unter dieser Vorgabe, hatte der Bürgermeister bereits seinerzeit klar gemacht, hätte der RMV das Ticket nicht genehmigt. Deshalb ist Rahn auch heute weiter überzeugt: „Die Idee ist vernünftig und es ist ein Versuch.“ Es sei ja auch grundsätzlich gut, dass der Ein-Euro-Fahrschein gut ankomme. „Sehr viele ältere Menschen nutzen das.“
Deshalb ruft der Rathauschef die Politiker auf, sich während der Sommerpause Gedanken zu machen, wie es mit dem Billigticket weitergehen soll. Bis Herbst muss die Stadt dem RMV mitteilen, ob und wie es ab 2018 mit dem Fahrscheinangebot weitergehen soll.
Zugleich mahnt Rahn die Politiker, die Folgen dieser steigenden Kosten zu berücksichtigen. Schließlich wünschten sie sich ja auch Ausweitungen des Fahrtenangebots. Mehrere Karbener Vorschläge prüfe derzeit die VGO wie eine Ergänzungslinie Okarben–Selzerbrunnen–Stadtzentrum–Klein-Karben.
Es sind wohl auch beileibe nicht nur die Senioren, die das neue Angebot intensiv nutzen. Das berichtet Busfahrer Markus Friedrich. Er hat gerade Pause am Bahnhof Groß-Karben, soll gleich Richtung Petterweil abfahren. Eine Dame etwa habe ihm berichtet, dass sie ihr elektronisches Ticket gekündigt habe und nun nur noch Einzelfahrscheine löse. „Viele kaufen jetzt keine Zeitkarten mehr“, erzählt Busfahrer Friedrich. „Sie steigen auf das Ein-Euro-Ticket um.“ (den)