Bad Vilbel. Zum ersten Mal haben Ärzte flächendeckend eine ganze Stadt bestreikt: Fast alle Arztpraxen in Bad Vilbel waren und bleiben in dieser Woche dicht (wir berichteten im „Bad Vilbeler Anzeiger“ vom 31. Mai). Mit der „Info-Woche“ protestieren die Mediziner gegen die Gesundheitsreform. Die Patientennotversorgung sei gesichert.
„Rückenschmerzen, oder verknackster Fuß, Allergie – das ganz normale Programm, aber auf Sparflamme“ habe er gestern in seiner Vertretungs-Praxis versorgt, berichtet der Bad Vilbeler Allgemeinmediziner Ansgar Schultheis. Er hat den Ärzteprotest mitinitiiert, an dem sich 31 von 34 Praxen beteiligten. Das Gesundheitsministerium habe angefragt, ob die Versorgung gesichert sei. „Die wollen nur sehen, ob sie jemand bestrafen können“, glaubt Schultheis. Die Aktion biete einen „Vorgeschmack“ auf die Zukunft: Zwei Ärzte hätten in Bad Vilbel schon aufgegeben. Am Info-Stand in der Innenstadt am Zentralparkplatz stimmte derRentner Alois Cholschreiber dem Ärzteprotest zu. Mit der Gesundheitsreform seien sowohl die Versorgung mit Medikamenten als auch die Behandlung deutlich schlechter geworden. Ein wirksames Blutdruckmittel sei abgesetzt worden, nur weil ein anderes Präparat billiger sei: „Das ist so gut wie untauglich und verursacht mir Magenbeschwerden“, klagt der Patient. Die Alternative sei, das Präparat selbst auf Privatrezept zu kaufen: „Die zocken einen kräftig ab.“
„Das läuft auf ein zweigleisiges System hinaus“, sagt John Lubnow, ein Bad Vilbeler Unternehmer, der ebenfalls mit den Ärzten sympathisiert. „Viele Praxen müssen schließen.“ Verständnis hat auch Thomas Vogel. Seine Schwester arbeite als Ärztin in Frankfurt und habe jetzt erst die letzten Abrechnungen vom Dezember 2005 erhalten. Dabei würden die Kassenärztlichen Vereinigungen gleich das Geld von den Kassen einfordern. Mehr Bürokratie, weniger Geld und weniger Zeit für die Patienten, das sind, laut den Ärzten, die Resultate der Gesundheitspolitik. In den vergangenen drei Jahren habe ihre Kinderarzt-Praxis 20 000 Euro weniger eingenommen, klagt Maria Bernacka. Wenn das so weiter gehe, müsse sie eine Arzthelferin entlassen. Enttäuscht ist sie, weil gerade Kinder sehr viel Geduld brauchen, für sie aber der niedrigste Honorarsatz gezahlt werde. Und manchmal sprächen die Mütter gar kein Deutsch; dafür müsse der siebenjährige Bruder dolmetschen.
Von den Einnahmen bleibe ihm nur ein Viertel an Verdienst, sagt der Sportmediziner Harald Fierek. Pro Patient zahle die Kasse pauschal zehn bis 30 Euro, egal, wie oft er behandelt werde. Laut KV habe der durchschnittliche Stundenlohn aller Ärzte 2006 bei 11,94 Euro pro Stunde gelegen.
Wenn während der Protestaktion nur zwei bis drei Praxen geöffnet hätten, so werde das „in spätestens zehn Jahren allgemein üblich sein“, prophezeit Fierek. Die Versorgung mit Allgemein- und Fachärzten solle in der Fläche ausgedünnt werden zugunsten von Ambulatorien oder Kliniken, das sei politisch so gewollt, meint der Arzt. (dd)