Nächste Woche ist es endlich so weit: Fasching in allen Straßen, Prunk- und Weibersitzungen, Kinder wild geschminkt und herrlich kostümiert. Aber die Feierlichkeiten bedeuten nicht nur das Ende der fünften Jahreszeit, sie markieren auch den Beginn der Fastenzeit. Fastenzeit heißt: Das Leben blüht auf!
Die meisten Menschen verstehen unter dem Begriff des Fastens vor allem Verzicht. Und das hat seine guten historischen Gründe – sogar ganz unabhängig von der christlichen Religion. In der bäuerlichen Gesellschaft unserer Urahnen ließen sich Lebensmittel nur in begrenzten Mengen haltbar machen. Und als gegen Ende des Winters die Vorräte zur Neige gingen, aber noch kein frischer Nachschub in Sicht war, hieß es: Abschied nehmen vom voll gedeckten Tisch und Verzicht üben, bis die ersten Frühlingsfrüchte wieder zu haben waren. In dem Begriff „Karneval“ steckt das übrigens noch ganz wörtlich drin, kommt es doch vom lateinischen „carne vale“ – frei übersetzt „Tschüss, Fleisch!“.
Während die beginnende Fastenzeit also oft als Zeit des Verzichts und der Beschränkung verstanden wird, die vor allem eingefleischten Kirchgängern vorbehalten ist, glaube ich: In Wirklichkeit sind die sieben vor uns liegenden Wochen bis Ostern eine grandiose Möglichkeit für jeden Menschen, sein Leben neu aufblühen zu lassen. Im Ernst: Das Fasten muss nicht weh tun, es ist keine Einübung im Leiden, sondern vielleicht eines der wirklich großen Geschenke Gottes an uns. Denn in Zeiten des Fastens und des Verzichtes, in unseren Wüstenzeiten kann Gott das Leben auf ganz wunderbare Weise zum Blühen bringen.
Das christliche Vorbild des Fastens ist der 40-tägige Aufenthalt Jesu in der Wüste (Mt 4,1-11). Diese Zeit bereitet ihn auf sein öffentliches Wirken vor. Und sie hilft ihm, drei existenzielle Fragen zu klären: Wovon lebe ich eigentlich? Woran orientiere ich mich? Und wie gehe ich durchs Leben? An der Geschichte von Jesus – es lohnt sich, die einmal nachzulesen! – wird deutlich: Nicht andere zu beherrschen, sondern sich gegenseitig zu dienen, bringt Erfüllung. Nicht die kühle Distanz, sondern sich anrühren zu lassen vom Schicksal und der Traurigkeit eines Nachbarn, lässt Leben gelingen. Nicht im „immer mehr“, sondern in der Besinnung darauf, dass wir von den meisten Dingen schon längst genug haben, liegt das Glück.
Wer die kommenden Wochen nutzt, um nach den tollen Faschingstagen einmal innezuhalten und über diese Fragen nachzudenken, wird merken, dass sein Leben nicht größer oder länger wird, aber tiefer – und das tut gut. Nicht durch Totalverzicht, aber durch kleine, ganz praktische Übungen: Vielleicht verzichten Sie mal auf drei Zigaretten am Tag und richten sich die gesparte Viertelstunde vor dem Mittagessen dazu ein, in einem Büchlein zu notieren, was Ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Oder Sie schalten den Fernseher mal 15 Minuten später an und nutzen die Zeit, um in der Bibel zu lesen. Oder Sie genießen mal sieben Wochen lang etwas leichtere Kost, damit sie nach dem Essen noch fit genug sind, um zu beten ohne einzuschlafen.
Was nach der Faschingsfeierei erstmal wie eine Wüstenzeit aussieht, ist in Wirklichkeit eine wunderbare Zeit, in der Gott unser Leben auf ungeahnte Weise aufblühen lassen kann. Geben Sie ihm diese Chance?
Ulrike Mey, Pfarrerin,
ev. Christuskirche Bad Vilbel